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Kamel so blau

■ Die Blaumeiers werden wieder unterwegs sein - mit der Blauen Karawane 1994

Die Binnenschiffer auf Elbe und Weser werden sich die Augen reiben, Jogger auf den Uferwegen den Mund aufreißen, und auf den Brücken wird sich der Verkehr stauen: Ein riesiges blaues Kamel wird geschwommen kommen, gemächlich, doch unbeirrbar näherkommen, nickenden Hauptes vorüberziehen und am Horizont verschwinden, daß man zweifeln wird, ob's kein Traum war.

Heute ist es noch ein Traum, das blaue Kamel mit dem Namen „Wüstennarrenschiff“, aber die Träumer sind bekannt dafür, daß sie Träume verwirklichen, je verrückter, desto besser. Mit Verrücktheiten nämlich kennen sie sich aus wie kaum jemand sonst: Die im Sommer mit dem schwimmenden blauen Kamel auf eine große Reise von Leipzig bis nach Bremen gehen werden, sind allesamt selbst Verrückte.

Die Blaumeiers werden wieder unterwegs sein, die alten ehemaligen PatientInnen der Bremer Irrenanstalt Blankenburg und ihre Betreuer, Berater und Mitstreiter von Café Blau und der „Initiative zur sozialen Rehabilitation“, sie werden den Staub der Gewohnheit aus den Haaren schütteln, neue Lieder singen gegen die neuen Aggressionen, die Außenseiter und Grenzgänger heute erleben, und es wird die zweite Blaue Karawane sein.

1985 zog die erste Blaue Karawane von Bremen aus gen Triest, die Zentrale der italienischen Psychiatriereform, und machte Halt an den deutschen Irrenhäusern, wo man mit Lärm und Spaß an die Mauern schlug: „Auflösung der Anstalten!“ Im Gefolge solcher Karawanen läuft auch viel anderes Volk mit, freiwillig an die Ränder der Gesellschaft Gerückte, Gaukler, freie Theaterleute, Musikanten. Unter den vielleicht 100 Mitreisenden sind aber viele, die sich vom Kontakt mit den Verrückten ein „prächtigeres und freieres“ Leben erhoffen.

Bremen ist die traditionelle Zentrale der Karawanen; eigens für 1994 wurde ein Verein „Das Blaue Haus“ geründet, um die Vorbereitungen zu koordinieren.

Punkt 1: das blaue Kamel. Im Modell (1:10) schon fertig, wird es von Karawanen-infizierten Mitarbeitern der Aucoop-Werft in Vegesack gebaut. Am 18. Januar, 17 Uhr ist die Kiellegung des „Wüstennarrenschiffs“, das 12 Meter lang und 5,80 Meter hoch sein wird. Es wird aus 11 Einzelsegmenten bestehen, die, auseinandergenommen, sich in zauberhaften Choreografien bewegen werden. Damit das Wüstenschiff schwimmen kann, wird auf der Werft ein Katamaran auf Kiel gelegt. Der feierliche Stapellauf des blauen Kamels wird im April sein.

Punkt 2: die Route. Der Verein Hal Över plant derzeit für die Karawane die Wasserreise: Welche Zwischenstationen wird man einlegen auf der Elbe, dem Mittellandkanal und der Weser? Geplant sind Torgau, Wittenberg, Magdeburg, Hannover und Minden. Wie ist es mit Wind, Wellen, Schleusen, Brücken?

Punkt 3: In Leipzig und Bremen werden sog. Karawansereien aufgebaut, mit großen Zelten für Theater und andere Veranstaltungen. Das théÛtre du pain und das Zelttheater Metronom werden dabei sein, die Behinderten–Band Kathrin und die Quietschboys und viele andere Künstler. Parallel soll der wissenschaftliche Diskurs weitergetrieben werden, es sollen z.B. Begriffe für die eigenartigen und ergreifenden Sehnsüchte gefunden werden, die etwa das Blaumeier- Theater bei seinem Publikum auslöst.

Punkt 4: das Geld. Der Kontostand des Blauen Hauses ist null. Das blaue Kamel kostet schon 60.000 Mark. Das ganze Unterfangen kostet weit über 300.000 Mark. Sieben Bremer SenatorInnen sind bisher angeschrieben worden, die Sponsorensuche läuft gerade an. Man erhofft sich Mittel von der „Aktion Sorgenkind“; Kirchen und Schulen haben ihre Mitarbeit schon zugesagt.

Ging es bei der ersten Blauen Karawane noch ausschließlich um die Psychiatrie, ist das Thema 1994 weiter gefaßt: Ausgrenzung, Grenzerfahrungen von Arbeitslosen, Obdachlosen, Ausländern, Psychiatriepatienten usf. Es soll ein überdeutliches Zeichen gesetzt werden gegen die existenzbedrohenden Mittelkürzungen im Initiativen- und Projektebereich. Dabei bedeutet das blaue Kamel aber keine Demonstration im herkömmlichen Sinn - es soll vielmehr der Gewinn gezeigt werden, den der Transfer (=Karawane) verschiedener und „fremder“ Erfahrungen bedeuten kann.

Das Motto für die Blaue Karawane 1994 hat übrigens im Vorgriff schon Antoine de Saint Exupérie geschrieben: Willst du ein Schiff bauen, so rufe nicht die Menschen zusammen, um Pläne zu machen, Arbeit zu verteilen, Werkzeuge zu holen und Holz zu schlagen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen endlosen Meer.

Burkhard Straßmann

Kiellegung: Freitag, 28.1., 17 Uhr, Aucoop- Werft, Schulkenstraße in Vegesack, Tor Fähr; um 15.30 fährt Hal Över vom Martini- Anleger nach Vegesack zur Feier der Kiellegung. Der Stapellauf findet dann im April stat

Die Blaue Karawane: 11.8.-19.8. in Leipzig; dann über den Wasserweg nach Bremen, dort 27.8.-4.9. Das Blaue Haus bittet um Spenden auf das Konto 1964909 bei der Sparda Bank Bremen (BLZ 290 905 00)

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