■ Kambodscha: Der Rote-Khmer-Führer Sary amnestiert: Frieden schaffen durch Vergessen
Kambodschas Regierungschef Hun Sen konnte seinen Stolz nicht verbergen: „Ganz leicht“ sei die Amnestie für einen Mann, der bis vor kurzem als einer der brutalsten Führer der Roten Khmer galt, am Wochenende über die Bühne gegangen. Niemand hat seine Unterschrift verweigert – weder das Parlament noch der König. Das Volk war gar nicht gefragt worden. 1979 war Ieng Sary wegen seiner Verantwortung für die Verbrechen des Pol-Pot-Regimes zum Tode verurteilt worden, nun ist er begnadigt. Selbst jene Kambodschaner, die ihrer Regierung jede Prinzipienlosigkeit zutrauen, sind von diesem Tempo überrascht. Erst vor wenigen Wochen hatten die Politiker Ieng Sary noch als Verbrecher und Teufel verdammt.
Zwar durften in den letzten Jahren Tausende Soldaten der Roten Khmer und ihre Familien ohne Probleme auf die Seite der Regierung wechseln, wenn sie vorher die Waffen niederlegten. Doch für viele Kambodschaner schien es undenkbar, daß die Hauptverantwortlichen für den Terror des Pol-Pot-Regimes ohne Strafe davonkommen sollten. Jetzt aber hat die Regierung erklärt, daß ein Ende des endlosen Krieges nur möglich ist, wenn die Vergangenheit unter den Teppich gekehrt wird.
Seit der Vertreibung der Pol-Pot-Diktatur aus Phnom Penh vor siebzehn Jahren hat es in Kambodscha keine öffentliche Debatte über die Herrschaft der Roten Khmer gegeben. Nur die von Vietnam eingesetzte Regierung veranstaltete 1979 einen Schauprozeß. Deshalb haben viele gehofft, daß jetzt – da die Roten Khmer vor dem Ende zu stehen scheinen – das Schweigen gebrochen wird. „Wir müssen herausfinden, was genau geschehen ist, nur dann können wir verhindern, daß sich das Leiden wiederholt“, so ein kambodschanischer Menschenrechtler. Doch die Stimme jener, die Frieden nicht durch Vergessen erkaufen wollen, ist schwach. Die Regierung – deren wichtigste Politiker (auch Hun Sen) früher selbst Rote Khmer waren oder die in den achtziger Jahren im Bürgerkrieg auf einer Seite mit ihnen standen (so Ko- Premier Ranariddh) – setzt auf das Vergessen. Das ist, ebenso wie die Amnestie für Ieng Sary, ein hoher, zu hoher Preis für den Waffenstillstand. Jutta Lietsch
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