: Kalter Krieg im Gerichtssaal
■ Fluchthilfe für sowjetischen Meisterspion führt nach 24 Jahren zu Prozeß in London
London (taz) — 24 Jahre nach der Tat soll in London ein Verfahren wegen Fluchthilfe aus dem Knast eröffnet werden: Die beiden Veteranen der Friedensbewegung Michael Randle (56) und Pat Pottle (52) werden im Januar wegen der Befreiung des britischen Doppelagenten George Blake (69) angeklagt. Ein Londoner Gericht lehnte in der vergangenen Woche ihre Berufung gegen die Entscheidung ab, den Prozeß zu eröffnen.
Randle und Pottle hatten den Spion, der zu 42 Jahren Haft verurteilt worden war, im Londoner Gefängnis Wormwood Scrubs kennengelernt, wo sie eine 18monatige Gefängnisstrafe für die Besetzung des US-Luftwaffenstützpunkts Wethersfield in Südengland absitzen mußten. Nach ihrer Entlassung halfen sie dem 1981 verstorbenen Iren Sean Bourke bei der Befreiung Blakes, versteckten den Spion mehrere Wochen und schmuggelten ihn schließlich in einem umgebauten Campingwagen nach Ost-Berlin. Blake lebt heute in Moskau. Randle und Pottle beschrieben die Ereignisse in ihrem 1989 veröffentlichten Buch. Daraufhin forderten 116 Tory-Abgeordnete die strafrechtliche Verfolgung der Autoren.
Die Verteidigung argumentierte, daß die britischen Behörden bereits seit mindestens zwanzig Jahren von Pottles und Randles Beteiligung an der Aktion wußten, damals jedoch entschieden, die Sache ruhen zu lassen. Die Zeugen der Anklage, der pensionierte „Special Branch“-Polizist Rollo Watts und eine anonyme Geheimagentin des MI 5, widersprachen sich gegenseitig: Die Agentin bestätigte die Entscheidung von 1970, den Fall nicht zu verfolgen, was Watts bestritt. Darauf setzte sich der Richter über das ausdrückliche Geheimhaltungsgebot hinweg und ließ eine Akte des MI 5 aus dem Jahr 1970 als Beweismittel zu. Daraus ging eindeutig hervor, daß der „Special Branch“ Anweisungen hatte, den Fall nicht zu verfolgen. Um so erstaunlicher, daß Richter Watkins in seiner 48seitigen Urteilsbegründung mit keinem Wort auf dieses Beweisstück einging.
Die beiden Angeklagten werden im Januar auf Anwälte verzichten. Ihnen droht eine Höchststrafe von neun Jahren Haft. Ralf Sotscheck
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