Kalkül oder echte Affinität: Obamas Flirt mit Abraham Lincoln
Obama ist wie Lincoln ein langer, dürrer Kerl aus Illinois. Mit ihm möchte er die Nation einen. Das zeigte er auch an dessen 200. Geburtstag.
Eigentlich hat Barack Obama ja derzeit wirklich andere Sorgen - sein Konjunkturpaket ist noch immer nicht endgültig vom Kongress verabschiedet, für seinen Bankenrettungsplan hat er heftige Prügel bezogen, und die neuesten Wirtschaftsdaten sind noch schlimmer als befürchtet. Dennoch nahm der Präsident sich beinahe einen ganzen Tag Zeit für die Gedenkfeiern zum 200. Geburtstag von Abraham Lincoln: Erst ein Empfang am Mittwochabend im Fords Theater in Washington, wo der Sklavenbefreier und Nationeneiner ermordet wurde, dann eine Gedenkstunde im Kapitol am Donnerstagvormittag und schließlich eine Kurzreise nach Springfield, der Heimatstadt Lincolns, um an einer weiteren Festivität teilzunehmen.
Überraschend war es freilich nicht, dass Obama das Jubiläum seines großen Vorgängers so ernst nahm. Schon im Sommer 2005 sorgte Obama für Aufruhr, als er einen Essay im Time-Magazine mit dem Titel "Was ich in Lincolns Augen sehe" veröffentlichte, in dem der Jungsenator sich als politischer Erbe von Lincoln gerierte. Die Häme, die er sich damals zuzog, vermochte ihn von seinem Lincoln-Flirt nicht abzubringen. Immer deutlicher machte er im Verlauf seines Wahlkampfs, dass er sich als Nachfolger des großen Emanzipators versteht. Das reichte von der Bekanntgabe seiner Kandidatur auf den Stufen des Staatskapitols von Illinois - jener Stelle, an der Lincoln eine seiner berühmtesten Reden "A House Divided" hielt - bis hin zum Amtseid, den Obama auf der Bibel Lincolns schwor. Und zu seinem Inaugurationsmahl ließ Obama auch noch die Speisenfolge von Lincolns Präsidentschaftsdinner nachkochen.
Vielen in den USA war das alles ein wenig zu dick aufgetragen. Der Historiker Sean Wilentz, Autor des Buchs "The Rise of American Democracy" beschuldigte Obama schon während des Wahlkampfs, mit seinen Lincoln-Zitaten die Geschichte zu missbrauchen. Wilentz Kollege Eric Foner, der eine der 38 Lincoln-Monografien verfasst hat, die zum Jubiläum in die amerikanischen Buchläden kamen, findet ebenfalls, dass "die Analogie viel zu weit getrieben wird". Der Vorwurf der Hybris geht einher mit der Sorge, dass Obama sich mit dem Vorbild zu große Schuhe anzieht und übertriebene Erwartungen weckt. Außerdem glaubt beispielsweise New-York-Times-Kolumnist Matt Bai, es sei wenig hilfreich, die derzeitige Situation mit der von Lincoln zu vergleichen: "So schlimm die Finanzkrise ist, sie ist nicht das Gleiche wie die Sezession des halben Landes. Wenn er die Wirtschaft nicht in den Griff bekommt", so Bai weiter, "nützt es ihm auch nichts, wenn er sich einen Bart wachsen lässt und einen Zylinder aufsetzt."
Noch ist der Kampf gegen die Rezession jedoch nicht verloren, und die Lincoln-Analogie hat dabei geholfen, Vertrauen in Obamas Kompetenz zu stärken. "Damit die Leute darauf vertrauen, dass Obama unsere schier unüberwindbaren Probleme bewältigen kann, müssen sie glauben, dass er etwas ganz Besonderes ist", so Mark McKinnon, ein Wahlkampfberater der Republikaner.
Dennoch mögen auch die Skeptiker nicht ganz ausschließen, dass Obama tatsächlich eine tiefe Affinität für Lincoln verspürt. "Zu Beginn des Wahlkampfs hat die Wiederbelebung Lincolns für Obama klar einen politischen Zweck erfüllt", so der Lincoln-Forscher Harold Holczer. "Aber ich glaube, dass er mittlerweile wahrhaftig das Werk Lincolns weiterführen möchte."
Welcher Aspekt von Lincolns politischem Nachlass Obama dabei am meisten am Herzen liegt, machte er in seinen Reden zum Lincoln-Jubiläum unmissverständlich deutlich. Am Kapitol stehend erzählte Obama die Geschichte, wie Lincoln sich an den gefangenen Soldaten des Südens am Ende des Bürgerkriegs nicht rächte, sondern sie mitsamt ihren Pferden und Gewehren nach Hause schickte, um am Wiederaufbau eines gemeinsamen Amerikas mitzuarbeiten. "Was Lincoln nie vergaß, nicht einmal inmitten des Bürgerkriegs, war, dass wir im Grunde unseres Herzens ein Volk und eine Nation sind."
So mag Obamas gezielte Berufung auf Lincoln durchaus einem Kalkül folgen. Dahinter darf man jedoch mehr vermuten, als nur, dass er sich mit den Federn eines der größten Helden der amerikanischen Geschichte zu schmücken versucht, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Vielmehr hat Obama am Ende einer 30 Jahre währenden Ära der Polarisierung der USA nach einem Paradigma gesucht, mit dessen Hilfe er ein neues nationales Selbstverständnis initiieren konnte. "Die Leute denken in simplen narrativen Konstrukten", sagte schnippisch der republikanische Stratege McKinnon über die Lincoln-Obama Analogie: "Langer dürrer Kerl aus Illinois, zerstrittenes Land, finstere Zeiten. Land rückt zusammen. Kerl erledigt Job. Hoffnung keimt." So ähnlich ist die Story, die Obama zu erzählen versucht. Und wer möchte ihm dabei nicht Erfolg wünschen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“