Kalifornische Noiserockband Xiu Xiu: Quasi-Unhörbarkeit als Statement
Gewaber, Geflimmer – Xiu Xiu hat mit „Girl with Basket of Fruit“ ein neues Album rausgebracht. Der Band gelingt es, Hörgewohnheiten zu druchbrechen.
In was für einem Albtraum ist man da bloß gelandet? Wummernde Industrial- und Technobeats ertönen, ein sirrender Synthesizer-Sound kommt dazu, gefolgt von tribalistischen Drums. Untermalt wird das Ganze von einer Geräuschwelt, wie man sie aus Videospielen kennt: Sirenen und Schüsse, Gewaber und Geflirre. „Pumpkin Attack on Mommy and Daddy“ heißt dieser Song der US-Band Xiu Xiu, er handelt von einem bösartigen Kind, das direkt einem Horror- oder Splatterfilm entsprungen scheint („An asshole baby who terrorizes all the kids in the neighborhood“).
Zu finden ist das Stück auf „Girl with Basket of Fruit“, dem neuen, inzwischen 14. Studioalbum der kalifornischen MusikerInnen von Xiu Xiu (gesprochen „Schu Schu“). Die Gruppe um Sänger und Multiinstrumentalist Jamie Stewart zeigt darauf einmal mehr, was sie so einzigartig macht: Eine fiese Mischung aus Noise, EBM, Dark Wave, Neuer Musik und Hochglanzpop. Xiu Xiu gelingt etwas, das heute, da alle Extreme vielfach durchexerziert wurden, schwer genug ist: Hörgewohnheiten zu durchbrechen.
Im experimentellen Underground ist die 1999 gegründete Band eine feste Größe. Zuletzt spielte das Quartett etwa den Soundtrack von David Lynchs Mystery-Klassiker „Twin Peaks“ neu ein („Xiu Xiu Plays the Music von Twin Peaks“, 2016). Zudem kollaborierte Xiu-Xiu-Mastermind Stewart in den vergangenen Jahren mit der japanischen Noise-Legende Merzbow („Merzxiu“, 2015) und veröffentlichte einige gemeinsame Arbeiten mit Eugene Robinson, Sänger der kalifornischen Noiserockband Oxbow, der nun wiederum bei „Girl with Basket of Fruit“ mitmischt. Stewart und Schlagzeugerin Angela Seo bilden dabei seit vielen Jahren den Kern der Band.
In der Vergangenheit sang Stewart, der bisexuell ist und des Öfteren Anspielungen auf S/M-Praktiken macht, über Inzest, Vergewaltigung und Suizid; er provozierte mit einem makaberen Stück über Abtreibungen („I luv abortion“, 2012). Seine Sujets sind beschädigte Körper, beschädigte Psychen, die häufig hinter einer heilen Fassade hervortreten. Der scheinbar harmlose Albumtitel „Girl with Basket of Fruit“, der Assoziationen an ein Stillleben weckt, passt da ins Bild. Er bezieht sich übrigens auf Caravaggios Gemälde „Boy with a Basket of Fruit“.
Allerdings stellt sich durch ständige Drastik ein gewisser Ermüdungseffekt ein. Im Titelstück etwa singt Stewart in einem surrealen Bewusstseinsstrom davon, wie Penisse sich auf Fledermausflügeln aufrichten und auf das Gesicht der Begehrten urinieren. Kurz zuvor kriechen Frösche in einen Anus und verleiben sich „Arschlochflöhe“ ein. Derlei lyrische Exzesse klingen beim ersten Hören noch kurzweilig – aber man kennt sie bereits von Xiu Xiu.
Xiu Xiu: „Girl with Basket of Fruit“ (Altin Village/Mine/Indigo), Live: 11. 3., UT Connewitz, Leipzig,12. 3., Elbphilharmonie, Hamburg, 13. 3., Kantine am Berghain, Berlin, 16.3., Festival, Esslingen, 17. 3., Rote Sonne, München
Spannender wird es, wenn die Band politisch wird. Etwa im Song „Mary Turner“, der auf der Geschichte der gleichnamigen Afroamerikanerin beruht, die 1918 in Georgia – hochschwanger – von einem Mob Weißer ermordet wurde. Diese wahre Geschichte wird über einer dystopisch anmutenden Soundlandschaft einfach nacherzählt – mehr braucht es auch gar nicht, um auf Rassismus in den USA zu verweisen. Stewart schließt mit vier Versen: „Fuck your guns / Fuck your wars / Fuck your truck / Fuck your flag“.
Beeindruckend ist der stilistische Wildwuchs, der in den Songs aufgeboten wird. Etwa beim Stück „Ice Cream Truck“, in dem die Band maschinelle Geräusche, Leierkastensounds, dissonante Bläser und Streichertöne zusammenbringt. Über allem schwebt die unheimliche Stimme Stewarts, die in allen Facetten – winselnd, stöhnend, ächzend, stotternd, schreiend – zu hören ist; sie erinnert zuweilen an Bowie mit mehr Goth-Anteilen. „Girl with Basket of Fruit“ wurde bislang verhalten rezipiert; mit all seinen Unter- und Zwischentönen ist es aber gerade in seiner Quasi-Unhörbarkeit ein Statement.
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