Kaśka Brylas Roman „Roter Affe“: Über alle Grenzen hinweg
Kaśka Bryla hält in ihrem Debütroman „Roter Affe“ den Spannungsbogen in einer deutsch-polnisch-österreichischen Geschichte.
Der „Rote Affe“ spielt zwischen Warschau und Wien, der JVA Moabit in Berlin und einer Autofahrt durch Polen. Die verschiedenen Orte verknüpfen die Biografien der Protagonist*innen Mania, Tomek, Ruth, Zahit und der Hündin Sue miteinander, immer wieder wird die Erzählung durchkreuzt von Kindheitserinnerung und Sprüngen in der Perspektive.
Die Erzählung beginnt mit einem Prolog, in dem Mania und Tomek noch Kinder sind. Fast wirkt dieser Abschnitt zu naiv und die Sprache zu blumig für das, was danach kommt. Ziemlich abrupt wirft Bryla die Leser*innen in die teils sehr harte und von Gewalt geprägte Welt der erwachsenen Mania, die als Gefängnispsychologin in der JVA Moabit arbeitet.
Wenn Bryla vorliest, spricht sie Mania wie Manja aus. Der Name ist also keine Anspielung auf die „Manie“, wie man zunächst vermuten und für platt befinden könnte, sondern einfach ein Name, der im Deutschen und Polnischen gleich ausgesprochen wird.
Krimi und Road-Novel
Brylas Debütroman ist vieles gleichzeitig: Krimi und Roadnovel, und plötzlich steckt man als Lesende in seitenlangen Dialogen wie für eine Theaterbühne geschrieben, mit kurzen Wortwechseln der Protagonist*innen und sonst nichts. Im Experimentieren mit verschiedenen Genres und etwa in der literarischen Ausgestaltung des Innenlebens der Hündin Sue stellt die Autorin die Möglichkeiten und Grenzen des Schreibens immer wieder auf die Probe.
Kaśka Bryla: „Roter Affe“. Residenz Verlag, Salzburg, Wien 2020, 240 Seiten, 22 Euro
Das Besondere zum Allgemeinen zu machen, bedeutet für Bryla, dass Protagonist*innen migrieren und fliehen, ohne dass Migration oder Flucht das Thema des Romans sind. Migrationsgeschichten werden nicht als ununterbrochenes Hin-und-Hergerissensein zwischen verschiedenen Parallelwelten dargestellt, sondern als Lebensrealität und Rahmen für alles, was sonst noch passiert.
Es wird Polnisch gesprochen und nicht immer eine Übersetzung ins Deutsche geliefert. Queeres und jüdisches Leben werden in die Handlung eingeflochten, ohne als Identitätskrisen der Protagonist*innen verhandelt zu werden.
Ost-West-Geschichte
Wahrscheinlich könnte Bryla das Buch auch als „Ost-West-Geschichte“ verkaufen. Mit präzisen Beschreibungen gibt sie einen Einblick in Geschichte und Gesellschaft Polens. Sie erzählt davon, wie „schlampig eingezäunte Grundstücke mit kleinen, grauen Gebäuden aus kommunistischen Zeiten dicht an dicht mit mafiösen Villen stehen und beweisen, dass sich im Osten Europas die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart noch nicht aufgelöst hat, um in die Zukunft des Westens überzugehen“.
Bei Vergangenem wie Gegenwärtigem wird die Handlung jeweils in einem konkreten politischen Kontext erzählt: Die Wahlerfolge der PiS bleiben nicht unkommentiert – der Partei, die Queers zu den Hauptfeinden der polnischen Nation erklärte. Zahit kam 2015 nach Europa, Mania fuhr das Auto über die österreichische Grenze.
Aus Dialogen und Erinnerungsfetzen lässt sich auf eine linke Szenevergangenheit der beiden weiblichen Protagonistinnen schließen. Aber auch darum geht es nicht primär. Denn die Themen, die sich als roter Faden durch die Geschichte ziehen, sind große Fragen nach Gut und Böse, nach menschlichen Abgründen, nach dem Umgang mit Missbrauchserfahrungen und Traumata und danach, ob es ein Recht auf Rache geben kann.
In der Verhandlung dieser abstrakten und schwer zu greifenden philosophischen Fragen schafft Bryla es, den Spannungsbogen konsequent aufrechtzuerhalten. Es gibt keine Verschnaufpause, man brettert regelrecht durch die Geschichte, genauso wie die Protagonistinnen Ruth und Mania nachts über eine leere Autobahn.
Gespräche wie unter Männern
Die langjährigen Freundinnen sitzen im Auto, spätabends fahren sie von Wien nach Warschau. Während Ruth in den fünften Gang schaltet und der Zeiger die Hundert-Stundenkilometer-Marke überschreitet, reden sie über Theorien des Bösen. Zwei Frauen sprechen über alte und neue wissenschaftliche Erkenntnisse, über Testverfahren aus der Psychologie, über Fälle, die es in der Vergangenheit in die Presse geschafft haben. Solche Szenen werden meistens für männliche Charaktere geschrieben.
Auf den letzten Seiten des Buches hat Bryla ihre Auseinandersetzung mit Forensischer Psychiatrie, Borderline und Traumatherapie in einer langen Literatur- und Filmliste transparent gemacht. Über mehrere Jahre hat sie Workshops zu kreativem Schreiben in Gefängnissen gegeben.
In den immer wieder eingeflochtenen Notizen des Protagonisten Tomek schreibt dieser: „Um zu verstehen, wie eine Person die Welt wahrnimmt, muss man verstehen, wie die Welt diese Person wahrnimmt.“
Kaśka Brylas Schreiben schafft Raum für eine Vielzahl von Welten, Realitäten und Personen, die sich nicht dafür entschuldigen, dass sie aus der Norm einer weißen bürgerlichen Mittelschicht herausfallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku