: Kämpfe rund um Baku
■ Diplomaten verlassen Aserbaidschan
Baku/Berlin (wash/taz) – Die Aufständischen standen bereits knapp 100 Kilometer vor der Hauptstadt Baku, als dort am Dienstag das aserbaidschanische Parlament Milli Medschlis den langjährigen KP-Chef, Gaidar Alijew, zu seinem neuen Präsidenten wählte. Staatspräsident Abulfas Eltschibej persönlich hatte den Abgeordenten die Wahl seines langjährigen Rivalen empfohlen. „Wir sind auf dem Weg zu einem Bürgerkrieg“, warnte er eindringlich, „es könnte eine große Tragödie geben“.
Alijew Hauptaufgabe als neuer Parlamentspräsident ist ein Friedensschluß mit den rund 12.000 Aufständischen, die gestern bereits ein Viertel des Landes kontrollierten.
Daß die von Alijew versprochene nationale Rettung „mit Demokratie und ohne Bürgerkrieg“ gelingt, erscheint jedoch immer fraglicher. Zwar machte er den Aufständischen weitgehende Zugeständnisse – unter anderem sicherte er ihnen eine konsequente Bestrafung der Regierungstruppen, die in Gandža geschossen haben, zu. Doch die fordern weitergehende Schritte – darunter auch den Rücktritt von Staatspräsident Eltschibej.
Die militärische und politische Lage der Regierung verschlechtert sich stündlich. Gestern lieferten sich Aufständische und Regierungstruppen Gefechte in unmittelbarer Hauptstadtnähe. Angeblich desertieren zunehmend Regierungssoldaten zu den Aufständischen, die eine Stadt nach der anderen einnehmen. In Baku beschuldigten sich Mitglieder der vergangene Woche zurückgetretenen Regierung und Anhänger Alijews gegenseitig des „Verrats“. Botschaften und ausländische Unternehmen in Aserbaidschan haben bereits mit der Evakuierung ihres Personals begonnen.
Ausgangspunkt der Unruhen war Anfang Juni die westaserbaidschanische Stadt Gandža, wo die Aufständischen das komplette Kriegsmaterial der abziehenden russischen Soldaten übernahmen. Inzwischen kristallisiert sich in der am Kaspischen Meer gelegenen Stadt Lenkoran ein zweiter Aufstandsschwerpunkt heraus. Während in Westaserbaidschan rote Sowjetflaggen wehen, soll der Führer der Aufständischen in Lenkoran den Anschluß seiner Region an den benachbarten Iran fordern.
Verstärkte Kampfhandlungen wurden gestern auch aus der armenisch besiedelten Enklave Berg- Karabach gemeldet. Armenien warf der Regierung in Aserbaidschan vor, die Offensive gegen den äußeren Feind sei ein Versuch, ihre zerfallende Armee wieder zu vereinigen. Nach Berg-Karabach streben auch die aufständischen Aserbaidschaner. Sobald er die „Ordnung“ im Land wiederhergestellt habe, wolle er die Enklave zurückerobern, erklärte ihr Führer Surat Gusseinow. dora
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen