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Kämpfe in SyrienGewalt von innen und außen

Sunnititsche Regierungstruppen haben die religiöse Minderheit der Drusen angegriffen. Auch Israel mischt mit.

Syrische Beduinen zeigen in Deraa ihre Waffen Foto: Khalil Ashawi/reuters

Es begann mit einem Überfall. Auf der Straße zwischen Damaskus und der Stadt Suweida im Süden Syriens hielten wohl beduinische Räuber einen drusischen Gemüsehändler an und stahlen sein Auto und die Waren. Der Vorfall am 11. Juli löste eine Welle von Entführungen und Gewalt zwischen bewaffneten Männern beider Gruppen aus, die eine Woche später noch andauert. Fast 600 Menschen sind laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) getötet worden.

Angesichts der Kämpfe schickte Präsident Ahmad al-Scharaa sein Militär und verbündete Milizen in den Süden, um die Region Suweida zu befrieden, wo drusische Kräfte sonst selbst für Sicherheit sorgen. Dabei gerieten die Soldaten wohl in einen Hinterhalt bewaffneter Drusen. Im Netz tauchte ein Bild auf, das mutmaßlich einen drusischen Kämpfer zeigt, der vor Leichen syrischer Soldaten posiert.

Daraufhin töteten mutmaßlich Soldaten des Militärs und verbündete Milizen nicht nur drusische Aufständische, sie ermordeten auch Zivilisten der religiösen Minderheit. 154 drusische Zivilisten sollen laut der SOHR getötet worden sein, 83 von ihnen wurden hingerichtet. Soldaten der als gemäßigt geltenden islamistischen Übergangsregierung verbreiteten Videos, in denen sie lachend drusischen Männern deren typische Bärte abrasieren. Die Bilder der Demütigungen erinnern viele an den islamistischen Terror gegenüber religiösen Minderheiten wie den Jesiden.

Israels Militär bombardierte daraufhin mindestens 160 Ziele der syrischen Regierung, darunter nach Suweida vorrückende Truppen und Militärbasen, aber auch das Gebäude des Verteidigungsministeriums in Damaskus und die Umgebung des Präsidentenpalastes am Stadtrand.

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Die Drusen sind kein monolithisches Gebilde

Israel rechtfertigt die Angriffe mit dem Schutz der Drusen. Sie sind eine Abspaltung des schiitischen Islam, sehen sich selbst aber nicht als Muslime. Muslime betrachten Drusen als Ungläubige. Wie viele Drusen es gibt, ist nicht bekannt, Schätzungen gehen von über einer Million aus. Sicher ist, dass die meisten, etwa 700.000, in Syrien leben, gefolgt vom Libanon und Israel. In Israel werden sie wie andere nichtjüdische Bevölkerungsgruppen qua Gesetz diskriminiert. Viele – sei es in Israel selbst oder auf den besetzten Golanhöhen – arrangieren sich aber mit dem jüdischen Staat. Die Drusen stellen sich traditionell gut mit lokalen Machthabern. Drusen sind in vielen Parteien Israels und der Knesset vertreten. Sie müssen Militärdienst leisten, manche sind ranghohe Offiziere. Einige Drusen haben Israel als Botschafter vertreten.

Auch die Drusen in Syrien sind kein monolithisches Gebilde. Während einige Gruppen ein Ende der Kämpfe und eine Übereinkunft mit Damaskus anstreben, wollen andere sich mit Waffengewalt behaupten. Hikmat al-Hijri, ehemaliger drusischer Loyalist der Assad-Diktatur, zerriss in der vergangenen Woche mehrere von den USA und der Türkei vermittelte Abkommen, die die Waffen zum Schweigen bringen sollten. Auch hatte sich al-Hijri für „ausländischen Schutz“ ausgesprochen, womit er nur Israel meinen kann.

Nicht alle Beobachter nehmen Israel sein Selbstbild als Beschützer der Drusen ab. Laut dem Analysten Charles Lister hat Israel seit dem Sturz Assads im Dezember rund 180 km² syrischen Territoriums eingenommen. Präsident al-Scharaa zeigt sich Israel gegenüber versöhnlich. Auf die Angriffe, die Israel vor der aktuellen Eskalation auf Militäreinrichtungen flog, reagierte al-Scharaa lediglich mit Protestnoten an den UN-Sicherheitsrat. Auch die USA forderten dort nun ein Ende der israelischen Angriffe.

Um das Land zu befrieden, sind die Nachbarstaaten gefordert, aber auch Präsident al-Scharaa. Er muss seine Kämpfer unter Kontrolle bringen, die Verantwortlichen für die Massaker zur Rechenschaft ziehen und ein System schaffen, das Minderheitenschutz und politische Rechte gewährleistet.

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