Kabinett beschließt Artenschutz-Strategie: Deutschland soll wilder werden
Die Bundesregierung hat eine Strategie zum Artenschutz verabschiedet. Nun müssen der guten Absicht noch Taten folgen.
Das Problem fängt mit den Balkonen an. Genauer: mit den Blumenkästen. Dort verschwinden die letzten Reste von Deutschlands Mooren - als Torf, der in der Gartenerde steckt, die man in 20-, 40- oder 70-Liter-Säcken kauft. Auch das soll sich ändern. Was das Bundeskabinett gestern als "Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt" verabschiedet hat, betrifft fast jeden in diesem Land. 256 Seiten, 330 Ziele, 430 Maßnahmen - alles für die Natur.
Denn Deutschland soll wilder werden. In den Bayerischen Alpen sollen sich wieder Luchs und Geier wohl fühlen. Statt Kiefern sollen mehr Eichen gepflanzt werden. In Städten soll es mehr Parks geben. Und im Jahr 2020 sind 30 Prozent der Fläche in Deutschland Naturparke und 2 Prozent sogar Wildnis, verspricht zumindest die Regierung.
Am Beispiel des Einsatzes für die Moore lässt sich die neue Sicht der Naturschutzpolitik gut deutlich machen. Mit Nostalgie oder verschrobenen Vogelschützern hat sie nichts mehr zu tun, aber zum Beispiel mit Klimaschutz. Moore sind üppige Speicher von Treibhausgasen wie CO2. Und sie nehmen viel Regen auf, beugen also Hochwasser vor.
Aber von den einst etwa 500.000 Hektar Hochmoor-Fläche in Deutschland sind inzwischen 95 Prozent zerstört. Nur 25.000 Hektar sind übrig. Trotzdem wird immer noch abgebaut, etwa im Emsland. Die Bundesregierung erklärt nun zum "Ziel", dass die Moore bis 2010 wieder als "CO2-Senke" wirken sollen. Viel Zeit gibt sie sich nicht. Die Zerstörung der biologischen Vielfalt, so begründet SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, sei mit der gleichen Priorität zu bekämpfen wie der Klimawandel.
Gabriel hatte für die Strategie der Bundesregierung die Federführung. Er sagt: "Die biologische Vielfalt garantiert uns, dass das komplexe System Erde funktioniert." Und: Es werde "dramatische" Folgen haben, wenn nichts getan werde. Im Jahr 2050 sei dann zum Beispiel kein Fischfang mehr möglich - "weil kein Fisch mehr da ist".
Die Experten mahnen, der Artenverlust liege derzeit um den Faktor 100 bis 1.000 höher, als er es ohne menschliches Zutun wäre. Immer sind Arten verschwunden - wie sie gekommen sind. Und natürlich verzichtet jeder gern auf Zecken oder Kopfläuse. Doch was sich derzeit abspielt, ist das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier.
Mal hier und da eine Wiese zu schützen, reicht da nicht mehr. 189 Staaten sind darum dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt beigetreten, das 1992 auf dem Rio-Weltgipfel beschlossen wurde. Wer die völkerrechtliche Grundlage für Naturschutz unterschreibt, verpflichtet sich, "nationale Strategien, Pläne oder Programme" zu entwickeln. Ghana, Georgien und 145 andere Staaten haben das längst gemacht. Deutschland ließ sich 15 Jahre Zeit.
Doch anders als für seine Vorgänger Klaus Töpfer, Angela Merkel, Jürgen Trittin, die sich nicht interessierten, war für Gabriel nun ein Aufschub schlicht nicht mehr drin. Im Mai 2008 lädt er 5.000 Politiker und Experten zur UN-Weltnaturschutzkonferenz nach Bonn ein - zu blamabel wäre es, hätte Deutschland bis dahin nichts verabschiedet. Um die jahrelange Verspätung vergessen zu machen, rühmt Gabriel den deutschen Plan nun als die "international am weitesten reichende Strategie zur Biodiversität". Denn während andere Länder "eher bunte Broschüren" abgeliefert hätten, "bindet" die deutsche Strategie "die Kanzlerin und die gesamte Regierung", meint er.
Tatsächlich beinhaltet die deutsche Strategie viele Arbeitsaufträge. CSU-Wirtschaftminister Michael Glos soll dafür sorgen, dass "im Jahre 2020 rund 25 Prozent der importierten Naturstoffe und -produkte aus natur- und sozialverträglicher Nutzung stammen". Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) muss "den verstärkten Abbau ökologisch kontraproduktiver Transferzahlungen" voranbringen. Und CSU-Agrarminister Horst Seehofer wird verpflichtet, dafür zu sorgen, dass bis 2010 volle 20 Prozent der Ackerfläche öko sind - statt wie bisher knapp fünf.
Geht so etwas ganz ohne Krach? "Ich war selbst überrascht", sagt Gabriel. Kein Minister habe sich gemeldet, auch kein Staatsekretär - die Abstimmung klappte auf Abteilungsleiterebene. "Das Klima für eine umweltpolitische Debatte hat sich geändert", meint Gabriel. Oder schert sich nur keiner seiner Kollegen um das Papier?
Besonders wichtig nimmt man die Strategie dort jedenfalls noch nicht. Rechtlich verbindlich ist sie sowieso nicht. Im Wirtschafts- und Finanzministerium hatten die Sprecher am Mittwochvormittag noch nichts von den umfangreichen Plänen gehört, die das Kabinett zur gleichen Zeit verabschiedete. Das Argrarministerium weiß zwar Bescheid, sieht aber keinen konkreten Handlungsbedarf. Hubertus von der Goltz aus dem Seehofer-Ministerium sagt der taz: Ob ein Landwirt auf öko umstellen will, "muss er selber wissen". Seehofer entwickele keine neuen Ideen. Von der Goltz: Das Umweltministerium hat das Ziel formuliert, dann müssen die auch sagen, wie sie das umsetzen wollen."
Umweltschützer geben sich trotzdem ungewöhnlich milde. Die Strategie sei "ambitioniert", sagt Jörg Roos vom WWF. Magnus Hermann vom Nabu erklärt, immerhin gebe es eine "feste Willensbekundung". Nur Friedrich Wulf vom Umweltverband BUND äußert sich kritisch: Die Ziele seien "gut", stünden aber "im Konflikt zu dem, was Landwirtschaft und Industrie tun".
Abwarten muss man wohl wirklich, was die Umsetzung der ambitionierten Vorhaben betrifft. Beispiel Moor. Die Ziele klangen noch ambitioniert. Wer in der Strategie aber weiterliest, stößt auf diese Formulierung: Die Regierung strebt "eine signifikante Reduzierung des Torfabbaus ab 2015" an. Viel unverbindlicher gehts kaum.
Gabriels Mitarbeiter wollen jetzt erst einmal prüfen, wie viel Torf der Bund auf seine eigene Flächen verstreut. Und sie wollen Gespräche führen mit Baumärkten und Gartencentern, die Blumenerde verkaufen. Schnelles Handeln sieht anders aus. Gärtner sollten sich trotzdem schon mal vom Torf verabschieden: Denn dieser lockert zwar den Boden, erhält aber kaum Nährstoffe. So muss man obendrein noch teuren Dünger ausbringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!