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KUNSTFIGURINEN

■ „Ruhig nicht...“ oder der Zwang, sein Stück zu spielen im Hoftheater

Spätestens seit Simone de Beauvoir wissen wir: Die Frau ist das andere Geschlecht, ist die vom Mann, der Norm, dem Normfall Definierte, Imaginierte (Männer)Phantasierte, Korrigierte, Kurierte, Funktionalisierte, als Madonna, Hure, Hexe Stilisierte, kurz sein Objekt. In unserer jüngsten Vergangenheit haben nun diese Objekte damit begonnen, sich aus ihrem fremdbestimmten Status zu befreien, um endlich sich zum Subjekt zu erheben. Doch wie sich nach der ersten Euphorie bald gezeigt hat, ein mühsames, kompliziertes, ein schier hoffnungsloses Unterfangen: Umstellt von den kulturellen Mustern tradierter Weiblichkeit, sieht sich die Frau heute einem rechten Dilemma ausgesetzt: in den überkommenen für ihr Geschlecht reservierten Bildern, diesen Produkten einer Männergesellschaft, die das Fehlen der Frau gerade zur Voraussetzung hatten, findet sie sich nicht wieder. Wo aber sind alternative Identifikationsmodelle, die eine Orientierung böten, einen Halt, eine Heimat gar? Die Antwort lautet nüchtern: Es gibt sie nicht. Die Konfrontation mit dem Nichts, der Leere hinter dem Spiegel, der den Frauen jahrhundertelang vorgehalten wurde, ist unvermeidlich.

Mir scheint, das Angebot, das Ulrike Rugowskis Theaterstück unterbreitet, enthält immerhin eine Möglichkeit: Auf der Suche nach dem verborgenen weiblichen Ich die bewußte Durchquerung und - dadurch erst vollziehbare - Entzauberung alter Identifikationsmuster, mit denen wir aufgewachsen sind, gelebt haben. Vielleicht waren ja ein paar Fetzen zu retten, die wir doch als uns zugehörig zu entdecken hätten?

Drei Schwestern treffen sich nach langer Zeit zu diesem Zweck, ihr „Erinnerungsstück“ zu reinszenieren: Nathalie (Beatrix Niemeyer), Anna (Martina Janke) und Rita (Ute Harnach) - jede hat in manchmal erbitterter Abgrenzung gegen die Schwestern ihre Rolle gespielt, jeweils bis zur Unkenntlichkeit verwachsen mit einer zum Vorbild auserkorenen, klassischen Frauenfigur der männlichen Literaturtradition: Nathalie/Ophelia („Hamlet“), die Älteste, Anna/Maria („Woyzcek“), die Mittlere, Rita/Mignon („Wilhelm Meister), die Jüngste.

Nathalie, die im wirklichen Leben immer kompromißlos nach der wahren, reinen, einzigen und absoluten Liebe gestrebt hat, klagt als weißverschleierte Ophelia über den treulosen Hamlet, er habe ihr Herz gegessen, sie für seinen unsterblichen Ruhm geopfert. Doch obwohl Nathalie auf ihrem Ideal melancholisch beharrt, schlüpft sie schließlich aus der Ophelia-Rolle, als eine, die ihre Geschichte aufgeholt hat, nunmehr mit verhärteter Schale lebt, jedoch wie sie das Titelmotiv aufnehmend - feststellt: Ruhig nicht...

Völlig im Gegensatz dazu Anna, die angriffslustig Sinnlichkeit und Obszönität verkörpert, ganz die bedenkenlos der Leidenschaft und dem sexuellen Genuß hingegebene Maria, die ihre erotische Hemmungslosigkeit mit grausamen Messerstichen bezahlen mußte. Im übertragenen Sinn gilt dies auch für Annas Leben, sie bezahlt ihr ungezügelt praktiziertes Lustprinzip mit Einsamkeit. Bitterkeit und Zynismus lassen da nicht auf sich warten.

Schließlich das Nesthäkchen Rita, immer verliebt, immer guter Dinge, als traurig-lustiger Kobolt Mignon, aber auch das ewige Kind, die Kleine, die Unzurechnungsfähige, die trotzig ihren Status verteidigt: Zum „Normalfall“ in dieser verkehrten Welt möchte sie nicht werden.

Letztendlich aber steht sie da, eine Kunstfigur, ein zitierbares Wesen wie ihre Schwestern. Auch sie desillusioniert vor den Trümmern ihrer einst so eifrig ausgefüllten Rolle, die sich keine von den dreien, wie sie jetzt erkennen müssen, wirklich selbst ausgesucht hat. (Ich glaube, daß sich jede/r Frau oder Mann seine Rollle im Leben ausgesucht hat, ob bewußt oder unbewußt, das ist einerlei. Die Verantwortung, die eigene Frustration auf andere abzuschieben, ist immer der leichteste Weg (gewesen) - d.S.) Die verlockenden Frauenbilder erwiesen sich allesamt als Täuschung und produzierten das Unglück der Frauen. Entsprechend verwandeln sie sich auch in schwarzgewandete Klageweiber, eine Rolle, die dann abgelöst wird durch die der Gesetzlosen, der von allem befreiten Sklaven. (Die Schauspielerinnen steigen symbolisch in ein Schiff, auf dem weiten Meer dahintreibend!) Auch das aber eine Outrance, das extreme Ausschlagen eines Pendels.

Der Weisheit vorläufig letzter Schluß liegt dann in einem vorsichtig-zuversichtlichen, erneuten Aufbruch der Schwestern in die (un)menschliche Gesellschaft: auf der irrenden Suche nach einer Identität, ausgestattet von nun an immerhin mit dem Produkt ihrer schmerzlichen Erfahrungen, dem Wissen nämlich, was sie nicht wollten... Alles weitere muß der Zukunft überlassen werden.

Die dramatische Gestaltung dieser Idee eines möglichen weiblichen Selbstfindungsprozesses ist gewiß ein Beitrag für die notwendigen Denkexperimente in unseren (Frauen-)Köpfen, die aktuelle Inszenierung von Birgit Oelschläger hält dem Anspruch allerdings nur bedingt stand.

Um es knapp zu fassen: Ein paar energische Szenenkürzungen, verbunden mit angezogenem Spieltempo, täten vielleicht schon Wunder, und eine Akzentuierung der potentiell komischen Momente wären der Wirkung des Stücks keineswegs abträglich.

Matlis Hoppe

„Ruhig nicht...“ im Hoftheater, Muskauerstraße 43, wieder ab Mittwoch bis einschließlich Sonntag, 18.9., um 21 Uhr.

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