KP reagiert auf Krise: Chinesen sollen kaufen, kaufen, kaufen
Wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel in China: Peking setzt bei der Bewältigung der Krise auf die private Nachfrage und investiert dafür in Bildung und Gesundheit.
PEKING taz Folgt auf die Weltfabrik der Massensupermarkt? Zum ersten Mal hat sich die Pekinger KP-Führung das westliche Vorbild der Massenkonsumgesellschaft zu eigen gemacht. Die Verbrauchernachfrage sei "ein langfristiges strategisches Grundprinzip und ein zentraler Ausgangspunkt für die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums", sagte der chinesische Premierminister Wen Jiabao am Donnerstag in Peking beim Nationalen Volkskongress.
Wens zweistündige Rede war die umfangreichste chinesische Regierungserklärung seit Beginn der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Viel Vertrautes war dabei zu hören: dass die Wirtschaft in China auch 2009 um 8 Prozent wachsen werde und überhaupt der "Sozialismus chinesischer Prägung solide Schritte voran gemacht" habe.
Doch hinter der rhetorischen Fassade allgemeiner Kontinuität ließ Wen einen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel erkennen. Statt Investitionen und Exporte zu fördern, will die Regierung nun stärker auf die Binnennachfrage setzen. Die 800 Millionen armen Landbewohner sollen Regierungshilfen für den Kauf von Kühlschranken und anderen Geräten bekommen. Die Ausgaben für Bildung sollen um 24 Prozent, die für Krankenversicherung um 38 Prozent steigen. Das Kalkül: Bürger, die gebildeter sind und sich weniger vor Krankheit fürchten, sparen weniger und geben mehr aus.
Bisher hatte Peking die sozialen Ansprüche seiner Bürger bewusst niedrig gehalten - nur so konnten sie als billige Tagelöhner den Exportindustrien dienen. Erst die dramatischen Exporteinbrüche sorgten in Peking fürs Umdenken. Denn nun hat man mindestens 20 Millionen arbeitslose Tagelöhner und Wanderarbeiter zu versorgen.
Einer von ihnen ist Huang Huaizhong. Der hörte sich Wens Rede in seinem Heimatdorf Xinsheng in der Provinz Hunan im Internet an: "Man merkt, dass sich die Regierung um das Wohl der Bevölkerung bemüht, aber hier in der Provinz kommt wenig davon an. Das Geld bekommen nur diejenigen mit guten Beziehungen zu den Kadern", sagte Huang der taz. Bislang arbeitete er in einer Spielzeugfabrik in der Küstenstadt Shenzhen, doch jetzt verlor er seinen Job. Die Rückkehr in die Provinz fällt ihm nicht leicht. "Wie sollen wir mehr konsumieren, wenn es hier keine Möglichkeit zum Geldverdienen gibt?", fragte sich Huang nach Wens Rede. Er will doch wieder Arbeit in der Stadt suchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?