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KOPFNUß AUF VERSFÜßEN

■ Jürgen Gosch inszeniert „Horace“ in der Schaubühne

Alles ist ganz einfach kompliziert und wäre somit eigentlich ein Fall nur für das Theater: Curiace liebt Camille und Camille liebt Curiace. Aber sie gehören unterschiedlichen Staaten an, die miteinander verfeindet sind. Wären die beiden Figuren von Shakespeare, könnten sie die disparate Realität durch einen gemeinsamen Freitod bloßstellen und würden die Faktizität der alles bedingenden Macht durch ihr unbedingtes Gefühl zueinander ganz einfach sabotieren: Ihr Tod wäre ein Triumph der Liebe, das Theater ein Hort der Utopie.

In Pierre Corneilles Horace aber gibt es nach der entscheidenden Schlacht Überlebende und Überliebende, die nicht mehr zueinander finden werden: Curiace wurde von dem Bruder seiner Geliebten für den Sieg geopfert. Hier enden auf einmal alle Beziehungen der Liebe und der Familie, es geht auf der Bühne nicht mehr um tragische Schicksale einzelner. Das Theater wird zu einem Fall der Wirklichkeit.

Denn aus dem Geschehenen wird kollektive Geschichte. Mehr als durch die Vorherrschaft der Siegermacht werden die beiden Völker durch Blut und Schuld geeint, die Menschen jedoch haben sich durch ihre Taten einander entfremdet. Der neue Staat weiß sich nurmehr durch den Arm des Gesetzes zu legitimieren, indem er das Faustrecht der Macht durch den Schmelz der Moral zur Staatsräson verklärt: „So lebe denn, Horace, so lebe, großer Held. / Weil dieser Sieg dich über das Verbrechen stellt; / Auch dazu hat nur deine Tugend dich getrieben; / Aus diesem Grunde dürfen wir hier Gnade üben.“

Die Würde des Siegers ist unantastbar. Die Politik der Gewalt, die die Vision des epischen Helden braucht, wird gegen eine Politik der Vernunft behauptet und bestätigt, das Aufbegehren der Frauen blutig unterdrückt: Horace ersticht seine Schwester kurzerhand, als diese die Ehre des Staates mit der Wahrheit besudelt. Auf dem Marsfeld wird nicht nur Alba von Rom, sondern auch das Matriarchat vom Patriarchat niedergeschlagen.

Mit scheinbarer Leichtigkeit hat Jürgen Gosch in Pierre Corneilles schweres, klassizistisches Alexandrinen-Gebilde eingegriffen und die eigentlich staatstreuen Intentionen dieses Auftragswerks für Kardinal Richelieu gegen sich selber amoklaufen lassen. Ohne große effektheischende Eingriffe von außen verschiebt Gosch einfach die Gewichte des Pathos; die Überzeugungskraft der hohl- und hochtönenden Personen gerät da auf einmal in Widerspruch zu deren Taten. Das Stück reibt sich an seiner eigenen Paradoxie auf, aus einer frömmelnden Apotheose der Macht bricht die Apokalypse der Gewalt hervor, die die Menschen nicht nur physisch zerstört, sondern die Nachgeborenen auch ihrer Identität beraubt.

Pierre Corneilles Horace ist ein Sprachstück, das sich nicht über seine Darstellung, sondern über seine in Versen formalisierte Rede herstellt. Gosch hat diese Strenge nicht entfesselt, sondern die ihr innewohnende Provokation bis an die Grenzen der Unerträglichkeit ausgereizt. Die Bildebene, mit der der aus der DDR stammende Regisseur und sein Bühnenbildner Gero Troike die Inszenierung dennoch hinterstellt haben, konterkariert sowohl die Siegerideologie Corneilles als auch die der beiden deutschen Staaten: Mit einem rohen Mauerdurchbruch ist der kleine Bühnenraum nach hinten erweitert, aber die brachiale Verbindung der beiden Räume ergibt noch lange kein neues Haus. Signalrote, senkrechte Schlagbäume sind die Säulen, auf denen jener neue, künstliche Frieden ruht, trennende Grenzen erinnern schmerzlich an eine Geschichte, die sich nie wieder in Unschuld wird fortsetzen kann.

Gosch entzieht sich mit dieser Inszenierung konsequent dem bunten Spektakulieren, mit dem augenblicklich bevorzugt dem Publikum die abgeschlagenen Köpfe der französischen Revolution schmackhaft gemacht werden wollen. Aktualisierungen müssen nicht zwangsläufig aus dem bunten Hut kommen

Rainer Maria Bilka

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