KONJUNKTURPROGRAMME KOMMEN WIEDER IN MODE: Die Angst macht’s möglich
Natürlich fordert die terroristische Herausforderung neue Lösungen. Doch manche verwundern schon. Ausgerechnet die neoliberal geprägten USA machen nun Schulden, um die Konjunktur anzukurbeln. Bis zu 160 Milliarden Mark will US-Präsident George Bush in Steuersenkungen und Hilfe für Arbeitslose stecken. Das ist kein neues Denken, auch keine Rückbesinnung auf den ausgabenfreudigen Nationalökonom Keynes. Die Vorhaben gehorchen den alten Gesetzen der Politik: In der Krise wollen die Wähler Taten sehen, egal welche. Das kann man ja noch verstehen. Doch auch Kanzler Schröder schließt Konjunkturhilfen nicht mehr aus. Warum aber sollte er Bush nacheifern?
Drei Faktoren haben in diesem Jahr unsere Konjunktur gedämpft: der hohe Ölpreis, die durch BSE gestiegenen Lebenshaltungskosten und der Konjunktureinbruch in den USA. Nun ist der Ölpreis derzeit wieder so niedrig wie vor zwei Jahren, BSE weitgehend ausgestanden und um die USA kümmert sich Bush höchstselbst. Da wäre es ratsam abzuwarten, statt voreilig Milliarden rauszuwerfen. Denn vieles deutet auf eine baldige Erholung hin.
Zu erwarten ist von einem Konjunkturprogramm ohnehin nicht viel. Japan hat sich die Ankurbelung seiner Wirtschaft in zehn Jahren 2.000 Milliarden Mark kosten lassen. Nun ist das einst reichste Industrieland das am höchsten verschuldete geworden, und seine Wirtschaft liegt immer noch darnieder. Das ist das Problem mit Konjunkturprogrammen: Irgendwann müssen die Schulden abgetragen werden. Auch in Deutschland hat das bisher nicht gerade gut geklappt, weshalb heute 75 Milliarden Mark im Jahr für Zinsen draufgehen. Trotzdem fordern selbst eingefleischte Neoliberale Wirtschaftshilfen. So schlägt etwa Volkswagen-Chef Piëch eine staatliche Verschrottungsprämie beim Kauf von Neuwagen vor, und die Fraktionschefs von FDP und Union, Gerhard und Merz, wollen die Steuerreformschritte 2003 und 2005 vorziehen. Dabei ächzen Länder und Gemeinden bereits unter den Folgen der diesjährigen Steuersenkung.
Von wegen „neues Denken“. Der Terror motiviert derzeit jeden, zu fordern, was er schon immer gerne haben wollte. Das gilt leider auch für die Regierung. Der Verteidigungsminister nutzt die Lage, um sich endlich die ersehnten 1,5 Milliarden Mark für seine reformmüde Truppe zu sichern, und Innenminister Schily drückt im Eiltempo ein teures Sicherheitspaket durch. Fast widerstandslos geht diese Steuererhöhung durch – auch nicht gerade das beste Signal für die lahmende Konjunktur. Die Angst macht es möglich. MATTHIAS URBACH
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