KOMMENTARE: Millimeterweise zum Frieden
■ Hat der Golfkrieg die Chancen für einen Frieden im Nahen Osten erhöht?
Krieg für den Frieden“, titelte ein deutsches Magazin in Anlehnung an seine US-amerikanischen Vorbilder bei Ausbruch des Golfkriegs. Inzwischen ist Kuwait um den Preis seiner Zerstörung zurückerobert, im besiegten Irak tobt der Bürgerkrieg — aber haben sich damit die Bedingungen für einen „dauerhaften Frieden“ im Nahen Osten tatsächlich entscheidend verändert?
Fünf Tage ist der amerikanische Außenminister nun durch die Region getourt, um — glaubt man den offiziellen Verlautbarungen — zuzuhören und eine Antwort auf diese Frage zu finden. Als Starthilfe für Bakers Gespräche forderte George Bush Israel zur Räumung besetzter Gebiete im Tausch gegen einen Frieden mit seinen arabischen Nachbarn auf. Was bei den arabischen Alliierten gut ankam, stieß in der israelischen Regierung erwartungsgemäß auf heftigen Widerspruch: De facto machen die USA die vordem immer so heftig zurückgewiesene Verknüpfung zwischen der kuwaitischen und der palästinensischen Frage zum Angelpunkt ihrer Diplomatie. Nicht das „neue Sicherheitssystem“ am Golf, das nun zwischen Golfanrainern, Ägyptern und Syrern verhandelt wird, sondern der israelisch-palästinensische Konflikt steht, völlig zu Recht, ganz oben auf Bakers Agenda. Aber was hat der „Krieg für Frieden“ zur Lösung dieses Problems, bei dessen Fortbestehen es keinen Frieden geben wird, wirklich gebracht? Obwohl die palästinensische Führung sich nach Bushs Auffassung diskreditiert hat, bleiben die Forderungen der Menschen nach einem eigenen Staat doch bestehen, und obwohl die israelische Regierung sich in dem Krieg zurückgehalten hat, wird sie den latenten Kriegszustand nicht ohne einen weitreichenden historischen Kompromiß beenden können.
Nach allem, was über die einzelnen Stationen der Baker-Reise bekanntwurde, hat sich an den grundsätzlichen, sich wechselseitig ausschließenden Positionen der Konfliktbeteiligten nichts Wesentliches geändert. Das „Fenster zum Frieden“, welches Baker gesehen haben will, wird von Schamir noch heftig zugehalten, und auch Assad in Syrien denkt nicht daran, seine Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden — er verwendet Genschers Schecks unter anderem dafür, die Reichweiten seiner Scud-Raketen zu verlängern.
Ob die „Chancen für Frieden“ (Bush) tatsächlich „besser als je zuvor“ sind, entscheidet sich allein in Washington. Der Krieg hat ja vor allem ein Ergebnis: der Einfluß der USA im Nahen Osten hat sich drastisch erhöht. Wenn Bush wirklich Frieden will, muß er sich nun wohl oder übel zum Fürsprecher der Palästinenser machen, weil allein Washington die Macht hat, einen territorialen Kompromiß — wie immer der zuletzt aussehen wird — durchzusetzen. Allein ob Bush die neuerworbene Macht dazu einsetzt, Israel zu einem solchen Kompromiß zu zwingen, wird darüber entscheiden, ob aus dem Krieg letztlich ein „dauerhafter Frieden“ wird. Jürgen Gottschlich
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