KOMMENTARE: Präzedenzfall Liberia
■ Zur möglichen europäischen Truppenentsendung nach Jugoslawien
Während Westeuropa sich Gedanken zur Entsendung von Truppen nach Jugoslawien macht, hat Westafrika heute immer noch mit den Folgen eines ähnlichen Vorgehens vor einem Jahr zu tun. Die Rede ist von Liberia, dessen mörderischen Bürgerkrieg die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) im Sommer 1990 mit einer multinationalen Streitmacht schlichten wollte. Nachdem die ECOWAS im Sommer 1990 den Truppeneinsatz beschlossen hatte, vergingen Wochen der Untätigkeit, während derer sich die ECOWAS-Mitglieder über Kommandostrukturen und Eingriffsmodalitäten stritten. Die dadurch erzeugte Stagnationsatmosphäre war mitverantwortlich dafür, daß der Krieg zur blutigen Schlacht um die Hauptstadt Monrovia ausartete. Als die ECOWAS Ende August schließlich intervenierte, wurde sie selber Kriegspartei. Das Ergebnis: eine Zweiteilung Liberias zwischen einer „neutralen Übergangsregierung“ von ECOWAS Gnaden in Monrovia und dem Rest des Landes in Guerilla-Hand. Die Kämpfe sind zwar abgeflaut, doch gibt es keine politische Lösung.
Aus dem Schicksal der westafrikanischen Mission kann Europa lernen. Zum einen wirkte sich der Verdacht, die eifrigsten Truppenentsender der ECOWAS seien vor allem an ihrer eigenen regionalen Machtvergrößerung interessiert, letztendlich lähmend aus. Zum zweiten ignorierte die ECOWAS-Diplomatie die Kräfteverhältnisse im Land, welche die „illegitimen“ Aufständischen favorisierten, und verurteilte sich damit zur Ineffektivität. Zum dritten bevorzugte sie die militärische Lösung gegenüber einer gesellschaftlichen Versöhnung.
Die afrikanische Diskussion hat daraus Schlüsse gezogen. Zum ersten: Konfliktvermittler von außerhalb des Kontinents genießen stärkeres Vertrauen und sind erfolgreicher — die UNO befriedete Angola im Frühjahr 1991, die USA sorgten im Mai für einen geordneten Machtwechsel in Äthiopien. Zum zweiten: Das Interesse an rascher gütlicher Einigung zwingt zur Gleichbehandlung der Konfliktparteien — auch hier zeigen die Beispiele Angola und Äthiopien den Weg. Zum dritten: Regionale Konfliktlösung muß mit wirtschaftlichem Wiederaufbau einhergehen, denn an Frieden ist erst zu denken, wenn es für kämpfende Söldner realistische Alternativen gibt.
Die liberianische Erfahrung legt Europa nahe, von einer Truppenentsendung nach Jugoslawien abzusehen, da diese mit dem Geruch eigener Machtgelüste behaftet wäre. Die in Den Haag begonnenen Vermittlungsbemühungen sollten unter Schirmherrschaft der UNO gestellt und verstärkt werden. Und drittens sollte die EG mit ihrer Wirtschaftskraft den bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch Jugoslawiens zu verhindern suchen, damit die Grundlage für künftigen Frieden erhalten bleibt. Dominic Johnson
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