KOMMENTARE: Indizien wiegen doppelt schwer
■ Die Aufdeckung von Stasi-Belasteten kommt immer im richtigen Moment
Die Stasikralle hat wieder einmal zugeschlagen. Und erneut fühlen wir uns unerwartet getroffen. Rektor Heinrich Fink als Verfechter einer selbständigen Universitätspolitik wurde aufgedeckt. Nun gibt es wie immer dieses unwürdige Gezerre um den Grad der Verstrickung. Parallelen lassen sich schnell ziehen, zu Lothar de Maizière, Ibrahim Böhme... Sie mußten gehen. In der Politik, an der Universität und überhaupt, wo gelehrt wird, reagieren zu viele allergisch, geht es um Stasivergangenheit. Fink wird gerade aufgedeckt, als er für den Rektorsitz kandidiert. Hat da jemand Akten gefälscht oder die Veröffentlichung getimed? Wir wissen es nicht. Die Aufdeckung von Belasteten kommt immer im richtigen Moment. Wann jedoch ist bei diesem Umbruch kein passender Moment?
Was verlangen wir von der Gauck-Behörde? Welchen Aufschrei müßte es geben, würde sie lückenhaft erhaltene Belastungen nicht zugänglich machen! Auch Indizien müssen herangezogen werden. Was hat in den vernichtenden Aktenbänden alles gestanden von Herrn Fink, über Herrn Fink? Wie redete ein dialogfreudiger Mensch mit den Herren von der Firma? In einer Leipziger Akte ist nach dem offenen Dialog zwischen einem Theologiedozenten und dem Stasioffizier nur hervorgegangen, welcher Student eine Diskussion über Bausoldaten angefangen hatte. Wer beim Gespräch mit einem Geheimdienst nicht einsilbig wird, macht sich schuldig. Bei der Werbung entscheidet der Spitzel, ob er bereit ist, Vertrauen zu brechen. Die Stasi hat sich auf ihre IM verlassen wollen. Immer wieder hat sie sie durch andere IM kontrolliert: Gehorcht der Geworbene, erfüllt er Aufträge, die nur „konspirativ“ zu lösen sind? So verlangte es die Dienstvorschrift zur Werbung eines IM. Kein Führungsoffizier und kein IM konnte in die Kartei kommen ohne konspirative Kontrolle seiner Ergebenheit. Die Stasibehörde tut gut daran, Karteikarten gegen Herrn Fink zu nennen. Die Konsequenzen ziehen jedoch die Senatoren, nicht Gauck. Er sollte nicht Adressat des Unmuts sein. Herr Fink wird wohl nicht bestreiten, viele Gespräche mit den diskreten Herren geführt zu haben. Hat er sich verpflichtet? Hat er Stasiloyalität höher gestellt als menschliches Vertrauen? Mit letzter Sicherheit können das nur die Akten erbringen. Die sind weg.
Über Zweifel und Schuld hinaus kann Freundschaft halten. Die demonstrierenden Studenten wollen über ihre Zweifel hinaus Freundschaft halten. Im Zweifel ist der Angeklagte frei bis zum Beweis der Schuld vor Gericht. Die Politik kennt härtere Regeln. Ein Rektor muß integrativ wirken. Er hat nicht die Zeit, Belastungen auszuräumen. Da wiegen schwere Indizien doppelt schwer. Für die Vertretung der Universität sind die Indizien zu schwer. Wir müssen auch Indizienurteile fällen und ertragen. Konrad Traut
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen