KOMMENTARE: Brennender Kaukasus
■ Die Türkei und Rußland stehen an der Schwelle des Krieges
Wenn die Türkei in Nachitschewan oder Armenien eingreift, würde dies den Dritten Weltkrieg auslösen.“ Zwar möchte man Armeniens Außenminister angesichts dieser Drohung spontan fragen, ob er es nicht eine Nummer kleiner hat, dennoch weist die Äußerung auf eine reale Gefahr hin: Aus dem lokalen Kampf um die Enklave Nagorny-Karabach droht ein Krieg um die Macht im Kaukasus und Mittelasien zu werden, der sehr wohl die Weltgemeinschaft insgesamt in Mitleidenschaft ziehen könnte.
Außer Armenien und Aserbaidschan, die sich unmittelbar um das Gebiet Berg-Karabach streiten, stehen als Protektoratsmächte Rußland und die Türkei in den Startlöchern, und auch der Iran sieht sich in seinen Interessen tangiert. Was aus dem Feuer im Kaukasus einen Großbrand machen könnte, ist aber nicht so sehr die mögliche Verwicklung der Nachbarstaaten, sondern die drohende Gefahr, den Konflikt zu einem religiösen Stellvertreterkrieg zwischen Christentum und Islam zu erhöhen. Wenn auf diesen regionalen Krieg nicht schnell und entschieden mit konfliktbegrenzenden Maßnahmen deutliche politische Signale gesetzt werden, könnte sich dort tatsächlich ein Krieg entwickeln, angesichts dessen der GolfkriegII sich wie eine müde Ouvertüre ausnehmen wird.
Bereits jetzt ist deutlich, daß Rußland und die Türkei allein diesen Krieg nicht werden beenden können. Beide sind für die jeweils andere Kriegspartei als Vermittler aus historischen Gründen nicht annehmbar. Türkische Soldaten haben an Armeniern den ersten Genozid dieses mörderischen Jahrhunderts verübt, und sowjetische, d. h. für die Aseris russische, Truppen, haben noch vor wenigen Jahren in Demonstrationen geschossen und ganz Baku militärisch besetzt. Sowohl Rußland als auch die Türkei werden täglich mehr von ihrem jeweiligen Klientelstaat in Anspruch genommen, mit dem Ausgang des Konflikts wird gleichzeitig über den weiteren Einfluß der Türkei beziehungsweise Rußlands in der gesamten Region entschieden.
Spätestens jetzt, wo der türkische Ministerpräsident Demirel in Moskau verhandelt, müßten die USA, die EG und auch die Nato beiden Kontrahenten klarmachen, daß sie notfalls bereit sind, massive Wirtschaftssanktionen anzuwenden, um eine Ausweitung des Krieges im Kaukasus zu verhindern. Wenn man wie in Jugoslawien erst untätig zusieht, wie der Konflikt immer mehr eskaliert, wenn russische und türkische Truppen sich in Nachitschewan erst direkt gegenüberstehen, ist es möglicherweise zu spät, eine vorhersehbare Tragödie zu verhindern. Jürgen Gottschlich
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