KOMMENTARE: Meuterei auf der „Biosphäre“
■ Zum Dinosaurier-Dinner in Rio
Als der Astronaut Edgar Mitchell auf dem Mond stand, erblickte er, was vorher kein Mensch gesehen hatte: die Erde als riesige, helle, blaue Kugel. Dieser Anblick hatte zwei Eindrücke zur Folge: zuerst, so berichtet Mitchell, habe er ein merkwürdiges Einssein mit dem gesamten Planeten, der Ganzheit der Erde empfunden. Dieses fast schon mystische Gefühl eines „Weltbewußtseins“ sei dann einer entgegengesetzen Empfindung gewichen, daß sich nämlich „Chaos ausbreitet, das die Bewohner des Planeten unter sich züchten — ein Außer-Kontrolle-Geraten von Technologie und Bevölkerungswachstum. Die Mannschaft des ,Raumschiffs Erde‘ steht praktisch in Meuterei gegen die Ordnung des Universums“. Zwanzig Jahre später ist aus dieser Meuterei ein organisiertes Verbrechen geworden — und die Paten treffen sich zum „Gipfel“.
Einen so starken CO2-Anstieg wie zur Zeit erlebte die Erde das letzte Mal vor 65 Millionen Jahren; vermutlich nach dem Aufprall eines Himmelskörpers verwandelte sich die Atmosphäre in einen Backofen und mit den Sauriern gingen 90 Prozent aller höheren Arten zugrunde. Heute scheinen die Menschen, denen die Handhabung des Feuers einst den entscheidenden Evolutionsvorteil sicherte, an der Perfektionierung eben jener Technologie zu scheitern: sie fahren wider besseres Wissen fort, den Planeten in einen giftigen Backofen zu verwandeln. Das Artensterben hat schon wieder dieselbe Geschwindigkeit erreicht wie damals in der Kreidezeit. Nur: die Saurier leben noch und treffen sich zum Dinner in Rio — Hooligans der Biosphäre.
Außer der Entdeckung der Meuterei hat die Astronauten-Perspektive noch eine viel wichtigere Erkenntnis gebracht: die Erde — als ganze — lebt! Eine Entdeckung, die uns so banal vorkommt, weil eine lebende Mutter Erde Tausende von Jahren ganz selbstverständlich war und erst in neuerer Zeit, parallel mit der immer perfekteren Handhabung des Feuers, in Vergessenheit geriet. Weshalb die Menschen prompt ein Feuerwerk veranstalteten, als hätten sie es mit einer betontopfbegrünten Fußgängerzone zu tun — und nicht mit einem Lebewesen, in dessen Pelz sie als Parasiten hausen. Ihr Erdgipfel ist insofern nichts anderes als ein Palaver der Flöhe über das Schicksal des Hundes — die Erde hat das Leben vor Katastrophen bewahrt, gegen die der Mensch mit all seinen Giften wie ein laues Lüftchen wirkt. Wenn wir uns nicht an ihre Regeln anpassen, werden wir gnadenlos eliminiert. Das Leben aber geht weiter.
Das Grundgesetz des Raumschiffs Biosphäre lautet: Parasiten überleben auf Dauer nur als Symbioten. Wer die Symbiose mit seinem Wirt nicht hinkriegt, fliegt raus aus diesem kosmischen Karussell, das mit 100.000 km/h um die Sonne rast. So einfach diese Regel ist — selbst kleine Mikrobengeister beherrschen sie seit mindestens drei Milliarden Jahren —, so nachträglich ist sie bei der Menschwerdung des Affen verschüttgegangen. Wir können den Planeten nicht retten und wir können ihn auch nicht zerstören — was wir retten können, ist nur unsere eigene Haut. Alles hängt von uns selbst ab. Eine ebenso tröstliche wie deprimierende Perspektive. Mathias Bröckers
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen