KOMMENTARE: Von Godesberg nach Petersberg
■ Engholm brachte auf der Klausurtagung seiner Partei den SPD-Tanker auf CDU-Kurs
Zwei Themen haben neben den Folgen der deutschen Einheit die innenpolitische Debatte der Republik in den letzten beiden Jahren geprägt: der Streit um das grundgesetzlich garantierte, individuell einklagbare Recht auf Asyl und die Frage nach dem künftigen Einsatz der Bundeswehr. Zieht man einmal alle rhetorischen Floskeln ab, so hat Engholm der Union in beiden Fällen angeboten, was Schäuble, Seiters, Rühe und nicht zuletzt Kohl seit gut zwei Jahren fordern. Engholm ist bereit, das Grundgesetz so zu verändern, daß Kampfeinsätze der Bundeswehr außerhalb des Nato-Vertragsgebietes möglich werden, und der Artikel 16 GG, das Grundrecht auf Asyl, soll mit einem Gesetzesvorbehalt versehen werden.
Warum, so fragt man sich, ist Engholm jetzt umgefallen und nicht bereits vor zwei Jahren? Was hat sich politisch verändert? Objektiv, von den Rahmenbedingungen her, nichts. Seit Abschluß der Zwei-plus-Vier-Gespräche und der Wiederherstellung der vollen deutschen Souveränität ist klar, daß die Bundeswehr nicht mehr bleiben kann, was sie einmal war. Dabei war von Beginn an klar, daß die zukünftige Verwendung der Armee nicht ein isoliertes militärtechnisches Problem ist, sondern als wesentliches Element der Außenpolitik des größer gewordenen Deutschlands neu zu definieren ist.
Zwei strategische Optionen stehen sich gegenüber. Der zentrale Begriff der ersten Option heißt „Normalität“. Es ist das Stichwort der CDU-Außenpolitik. Deutschland ist wieder vereinigt, der Kalte Krieg ist vorbei und unser Land zählt wieder zu den großen europäischen Nationen. Zu dieser Normalität gehört, daß man seine teuer bezahlte Armee auch einsetzt, um in ferneren Gegenden seine Interessen durchzusetzen. Über konkrete Fragen kann man durchaus diskutieren, aber das Grundgesetz soll kein Riegel mehr sein.
Die andere Option setzt auf eine Weltinnenpolitik. Sie geht davon aus, daß die Zeit konkurrierender Nationalstaaten, die ihre Interessen notfalls auch militärisch durchsetzen, vorbei ist, daß die globalen Probleme nicht mehr national zu bewältigen sind und daß deshalb Instanzen geschaffen werden müssen, die die Ressourcen der Welt mit zivilen Mitteln verwalten. Eine dieser Instanzen ist die UNO und zur Bewältigung ihrer Aufgaben muß sie im Zweifelsfall auch Gewalt anwenden. In diesem System könnten auch deutsche Soldaten Verwendung finden.
Obwohl Engholm noch vom Gewaltmonopol der UNO redet, hat er diese Option aufgegeben. Wenn das Grundgesetz mit den Stimmen der SPD ohne eine entsprechende Reform der UNO geändert wird, bleibt der Verweis auf die neue Rolle der Weltorganisation eine reine Floskel. Mit dem Beschluß vom Wochenende gesteht die SPD ein, daß sie die Hoffnung, in der Auseinandersetzung um die Außenpolitik noch einmal die Meinungsführerschaft gewinnen zu können, aufgegeben hat. Dasselbe gilt noch weit offenkundiger im Fall der Asylpolitik. Die Halbherzigkeit und Heuchelei, mit der die Sozialdemokratie sich für Flüchtlinge in die Bresche geworfen hat, ist so offenkundig, daß der jetzige Beschluß eher etwas Befreiendes hat. Man soll Leute nicht zwingen, so zu tun, als ob. Das hilft letztlich auch den Betroffenen nicht. Eine Alternative zu der Politik nach dem Motto „Wir wollen unseren Kuchen selber essen“ hatte die SPD sowieso nicht im Programm.
In Godesberg hat die SPD sich als Partei der Systemalternative verabschiedet. Die Tagung auf dem Petersberg wird als das Datum in die Annalen eingehen, an dem sich die SPD als Regierungsalternative verabschiedete. Jürgen Gottschlich
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