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KOMMENTARENichts gelernt seit Hoyerswerda?

■ In Rostock griffen Rechtsextremisten die Aufnahmestelle für Asylbewerber an

Nein, bitte nicht! Nicht schon wieder diese gräßlichen Bilder von der johlenden Menschenmenge, die als Wochenendvergnügen Asylantenvertreiben spielt. Ja, haben wir denn nichts gelernt seit Hoyerswerda? Gelernt? Woher denn, wie denn, durch wen denn? Doch wir haben gelernt, seitdem letztes Jahr die Fratze vom häßlichen, rassistischen Deutschen rund um die Welt ging. Nur was?

Wir haben gelernt uns zu beruhigen, indem wir uns in unsere jeweiligen Lager zurückgezogen haben. Diejenigen, die heimlich applaudiert haben in Hoyerswerda, waren einige Zeit etwas kleinlauter. Und die „guten Deutschen“, die ehrlich erschrocken waren über die rassistischen Exzesse, konnten sich bestätigen, daß sie ganz schön viele, ja sogar die klare Mehrheit sind. Währenddessen gingen die täglichen Gewalttaten gegen Fremde und Dunkelhäutige weiter. Daß sie täglich in immer kleineren Zeitungsmeldungen erschienen, machte sie nicht schrecklicher, sondern nur schrecklich normal. Mit einem gewissen rechtsradikalen Potential muß eben jedes Land leben, da steht Deutschland in bester schlechter Gesellschaft mit Frankreich, England oder Italien. Das entlastet.

Nichts gelernt seit Hoyerswerda? Falsch! Zwischen Hoyerswerda und Rostock lagen zehn Monate politischer Anschauungsunterricht. Diejenigen, die schon immer nach einem Ziel in ihren kruden rechten Ideen suchten und die, die einen mehrheitsstiftenden Sündenbock brauchten für dumpfen Frust auf alles und nichts, fanden ihre Lehrmeister. Wie nie zuvor seit der ersten großen Immigrationswelle in den sechziger Jahren haben Politiker und Medien ihre Kunden in ihren Vorurteilen bedient: Jawohl, es gibt zu viele Ausländer in Deutschland, wir werden von Asylbewerbern überschwemmt, die Lage ist katastrophal, wir steuern in eine für alle bedrohliche Krise. Der gesellschaftliche Konsens in dieser Frage ist nunmehr nahezu total. Keine Partei, Teile der Grünen und der PDS ausgenommen, will es sich leisten, aus dieser Gemeinschaft auszuscheren. Die SPD, die sich noch im letzten Sommer sperrte, hat am Wochenende ihre Eintrittskarte in diese Community mit der Zustimmung zur Asylrechtsänderung erkauft.

Politiker aller großen Parteien haben in Rostock ideell mitgezündelt. Sie haben keine Brandsätze geworfen, sie haben am Wochenende nicht in der Menschenmenge gestanden und den Gewalttätern zugeklatscht, aber sie haben den Claqueuren applaudiert. Sie haben die ausländerfeindlichen Exzesse verurteilt, aber wirklich nur die Exzesse — was deren Anlaß anbetraf, haben sie den Tätern recht gegeben: die Ausländer sind schuld, daß sie schuld sind. Die einen schürten den Haß mit Zählappellen für „Wirtschaftsasylanten“, die anderen mit hochdramatisierten Flüchtlingsstatistiken, die dritten — wie jüngst Innenminister Seiters — mit dem perfiden Taschenspielertrick: Jeder Scheinasylant nimmt den bosnischen Flüchtlingen das Essen weg.

Nichts gelernt seit Hoyerswerda? Im Gegenteil: Wer wollte, konnte die Lektion gut verstehen: beredtes Verständnis, sofern sich der Ausländerhaß in geregelten, friedlichen Bahnen bewegt und geplante Untätigkeit, sofern die gewaltlosen Grenzen überschritten wurden. Auch als längst offenkundig wurde, daß Rechtsradikale und Skinheads keine dummen Jungenstreiche begehen, sondern Morde, passierte in den Kriminalämtern nichts außer statistischer Zählerei. Das gängige politische, polizeiliche und juristische Instrumentarium, was bei ähnlichen Gewalttaten linker Gruppen längst auf Hochtouren liefe, wurde außer Kraft gesetzt. Die rechtsradikale Gewalt hat in den letzten zwölf Monaten mehr Tote und Verletzte gefordert als der Terror der RAF in einem ihrer aktivsten Jahre. Kein Krisenstab wurde gegründet in Bonn, keine Sofortmaßnahmen eingeleitet, keine polizeiliche Eingreiftruppe ins Leben gerufen, keine Sondergesetze ausgekramt, keine Präventivprogramme in Auftrag gegeben — außer den lächerlichen 20 Millionen des Bundesfamilienministeriums, die in der Jugendpolitik nicht mal die Lücken schließen, die die kommunalen Sparpläne gleichzeitig reißen. Kein Polizeikessel zwengte die anfeuernde Menge in Rostock ein, keine Warnschüsse zum Schutz der eingeschlossenen Asylbewerber signalisierten der schaulustigen Meute: „Wir meinen es ernst.“ Auch so kann man demonstrieren, daß ein Ausländerleben weniger wert ist als ein deutsches.

Sicher, das fragwürdige Instrumentarium polizeilicher Maßnahmen und gesetzlicher Sonderregelungen schafft keine Lösungen. Doch daß es nicht einmal angedacht wird — als Warnung und als politisches Signal — ist deutliches Zeichen der Verharmlosung. Diejenigen, die das als klammheimliche Kumpanei für ihr Handeln interpretieren, können sich in Sicherheit wiegen. Die Sympathisanten der Sympathisanten dieser Terrorszene tragen Schlips, Kragen und Diplomatenkoffer. Sie zollen — Mecklenburgs Innenminsiter Lothar Kupfer hat es gestern vorgemacht — den Terroristen und ihren Helfern Verständnis für ihre Motive.

Nichts gelernt aus Hoyerswerda? Aber hallo! Gerade im Osten Deutschlands war die Lernbereitschaft beträchtlich. Nicht zufällig liegt Rostock in einem der fünf neuen Länder. Dort hat man sehr wohl begriffen, daß die Polizei entweder wegguckt oder überfordert herumtrottelt. Und man hat sich geübt im Ziehen von moralischen Freibriefen: als anerkanntes Opfer der deutschen Einheit darf man sich ungestraft noch schwächere Opfer suchen. Da wurde die Ossi-Seele auch von der Westseite aus verständnisvoll analysiert: 40 Jahre lang keine Ausländer gehabt und dann diese Schwemme, ja das ist ja auch eine Zumutung! Einmal zurechtpädagogisiert und -soziologisiert, diente die soziale Misere vielen Ossis als Entschuldigung für die eigene Brutalität. Denn welches Gesetz bestimmt, daß der, der Arbeitsplatz und Zukunftsorientierung verloren hat, den menschlichen Anstand gleich hinterherschmeißen darf? Vera Gaserow

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