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KOMMENTAREinstürzende Altbauten

■ Das Lügengebäude des Berliner Innensenators vor dem Einsturz

Seit gestern ist der Berliner Verfassungsschutz-Skandal eine handfeste CDU-Affäre, deren Dimensionen an die Machenschaften des Uwe Barschel erinnern. Nachdem Innensenator Kewenig mit dem Pathos des früheren Kieler Ministerpräsidenten vor der bundesdeutschen Öffentlichkeit sämtliche SPD-Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz als erstunken und erlogen zurückgewiesen hatte, traten die Sozialdemokraten die Flucht nach vorn an. Sie hatten keine andere Wahl mehr, mußten den „Geheimnisverrat“ begehen. Schlimmer als in Kiel ist in Berlin flächendeckend die Opposition links von der CDU ausspioniert worden. Die Berliner Sozialdemokraten scheinen weiter in der Lage, zu beweisen, daß auch für die CDU unliebsames Material über ihre eigenen Verstrickungen in Fluchthilfeprojekte vernichtet wurde. Kewenigs Lügen strafen auch den Regierenden Bürgermeister Diepgen. Er hatte sich voll und ganz hinter den Chef der Spitzelbande gestellt.

Daß dies alles ans Licht kam und nun untermauert wurde, hat Kewenig und die gesamte CDU kalt erwischt. Wenn jetzt Kewenigs Sessel erheblich ins Wanken gerät, dann wohl darum, weil er auf die Verschwiegenheit des VS und die Schweigepflicht der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission gesetzt hatte. Der sozialdemokratische „Geheimnisverrat“ mußte geschehen, weil die Auseinandersetzung längst eine Eigendynamik entwickelt und nichts mehr mit der Suche nach Themen im Wahlkampf zu tun hat. Kewenig kann in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß ein Aussageverbot der Beteiligten erzwingen. Doch der Vorstoß der SPD hat eine Situation geschaffen, in der dieses Verbot politisch kaum mehr durchsetzbar sein wird. Auch die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission müßten jetzt fortgesetzt „Geheimnisverrat“ begehen und alle Unterlagen auf den Tisch legen. Nur dann wäre einsichtig, daß dieses Gremium überhaupt einen Sinn macht.

Doch die erklärte Absicht, die Skandale des Nachrichtendienstes schonungslos aufklären zu wollen, gewänne erheblich an Glaubwürdigkeit, wenn die Genossen aus ihren reichem Erfahrungsschatz über die kriminellen Machenschaften des VS jetzt auch die Passagen anführen würden, die sich auf das Schmücker-Verfahren oder die Überwachung der Alternativen Liste beziehen.

Petra Bornhöft und Wolfgang Gast

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