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KOMMENTARTreuhand unter Druck

■ Das Personalkarussell vom Alexanderplatz

Die Spekulationen darüber, ob der angekündigte Rücktritt des Treuhand-Chefs Rohwedder ernstgemeint ist oder nur der Erweiterung seines politischen Handlungsspielraums dient, werden vielleicht noch einige Tage dauern. Sie sind der Nebelschleier, hinter dem die Kontroversen um die Rolle der Treuhandanstalt ausgetragen werden. Es geht nicht allein um Personen, sondern vor allem um die in der Konstruktion der Treuhand angelegten letztlich unlösbaren Konflikte. An denen ist schon Rohwedders Vorgänger Golke gescheitert, der am liebsten bei jeder Verkaufsverhandlung persönlich dafür gesorgt hätte, daß das ehemalige „Volkseigentum“ nicht zum Nulltarif verschleudert wird. Und jeder eventuelle Nachfolger Rohwedders wird ebensowenig in der Lage sein, den Ausverkauf der rund 8.000 Treuhand- Betriebe in halbwegs seriöser Form zu betreiben.

Wie soll eine Institution mit wenigen hundert Mitarbeitern, die kaum mehr als ein halbes Jahr alt ist, also noch nicht einmal Handlungsroutine entwickeln konnte, als Nachlaßverwalterin der realsozialistischen Wirtschaftsmisere eine ganze Volkswirtschaft privatisieren, sanieren oder eben stillegen, ohne daß es in allzuvielen Einzelfällen zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen und Verzögerungen kommt? Der Problemberg ist einfach zu hoch, das Nadelöhr Treuhand einfach zu klein, der Zeitdruck einfach zu groß. Daß Rohwedder sich angesichts dessen nach seinem Chef-Sessel bei Hoesch zurücksehnt, ist nur verständlich.

Zudem zeichnet sich ab, daß die Treuhand in den kommenden Monaten von den Regierungen der neuen Bundesländer und Berlins in die Zange genommen wird. Der Querschuß aus der Berliner Senatskanzlei und die Stellungnahmen des neuen sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf folgen einem gleichgerichteten Interesse an schneller Privatisierung — selbst um den Preis, daß einige westdeutsche Aufkäufer sich dabei eine goldene Nase verdienen, wenn ihnen die Betriebe zum Nulltarif hinterhergeschmissen werden. Die Länderregierungen haben ein Interesse an schnellen Entscheidungen, weil die Betriebe erst dann aus ihrer gegenwärtigen Lähmung erwachen können und der Wirtschaftsprozeß in den neuen Ländern in Gang kommt. Der Bund als Eigentümer der Treuhand muß dagegen einem überstürzten Ausverkauf der Ex-DDR-Betriebe entgegenwirken. Denn die immensen Sanierungs- und Stillegungskosten für jene Betriebe, die nicht verkauft werden, sind ihm schon gewiß. Martin Kempe

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