KOMMENTAR: Blamiert bis auf die Knochen
■ Das Urteil gegen die Abwicklung an der Humboldt-Uni ist eine vernichtende Schlappe für den Senat
Die unendliche Geschichte der »Abwicklung« von fünf »ideologisch belasteten« Fachbereichen an der Humboldt-Universität hat gestern eine überraschende Wendung erfahren: Die HU hat in der Revision mit ihrer Klage Recht bekommen. Das Oberverwaltungsgericht erklärte im Eilverfahren die vom Senat verordnete Teilabwicklung von fünf Fachbereichen für rechtswidrig. Für die Humboldt-Uni ist das ein — später — Triumph, für den Senat eine vernichtende Schlappe.
Besonders blamiert ist posthum die ehemalige Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller (SPD), die noch in den letzten Tagen ihrer Amtszeit Ende vergangenen Jahres den ersten großen Krach mit dem neuen Koalitionspartner CDU riskierte. Die fragwürdige Intention, einzelne unliebsame Institute »abzuwickeln« und hinterher neuzugründen, führte damals zum Krach mit der CDU, und genau dieses Vorgehen ist juristisch unhaltbar. Die Christen gaben damals nach, und Riedmüllers Nachfolger Manfred Erhardt setzt bis heute den Abwicklungskurs fort.
Hätte man es nicht vorher wissen können? Laut Einigungsvertrag, so die Begründung des Urteils, ist die Abwicklung zulässig, aber nur, wenn die Institute gänzlich aufgelöst werden. Spätestens seit dem »Warteschleifen«-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das eine Abwicklung zum Zwecke der Neugründung für verfassungswidrig erklärt hatte, hätte Erhardt die Notbremse ziehen müssen.
Jenseits der politischen Blamage ist in der Berliner Hochschulpolitik mit dem Urteil weiter alles unklar. Sämtliche Mitarbeiter der HU, die aufgrund des Senatsbeschlusses in die »Warteschleife« geschickt wurden, müssen erst einmal wieder in ihre Ämter eingesetzt werden. Auch wenn HU-Rektor Fink das Gegenteil behauptet: Zumindest Teile der Universität bleiben gelähmt, bis der Rechtsstreit endgültig ausgetragen ist. Bis zur Hauptverhandlung können erfahrungsfahrungsgemäß Jahre vergehen, und der Wissenschaftssenator kündigte gestern bereits an, in die nächste Instanz gehen zu wollen. Der Streit um die Rechtmäßigkeit der Abwicklung geht also weiter, und er ist viel mehr als ein juristisches Problem. An einem besonders heiklen Punkt werden die Folgen der überstürzten, von Bürokraten gebastelten deutschen Einheit sichtbar. Für so schwierige politisch-moralische Fragen wie die mögliche Reformfähigkeit von belasteten wissenschaftlichen Institutionen stehen nur juristische Schablonen bereit. Für Politiker ist es allemal der bequemere Weg, auf diese Schablonen zurückzugreifen. Gelöst wird damit nichts. Kordula Doerfler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen