piwik no script img

KOMMENTARHerrische Geste

■ Die Spurenbeseitigung des Eberhard Diepgen

Daß das ungeschlachte Lenin-Denkmal in Friedrichshain heute noch steht, ist eigentlich ein Jammer. Wäre die Wende in der DDR keine Wende gewesen, sondern eine richtige Revolution, hätte es Lenin nicht lange auf seinem Sockel ausgehalten. Damals, im Herbst 1989, wollten die Demonstranten das Diktatorenabbild nicht kippen — oder sie trauten sich nicht. Jetzt ist der Koloß den Kunsthistorikern und Christdemokraten in die Hände gefallen. Logische Folge: Die Diskussion ist nur noch peinlich.

Der einzige halbwegs erfolgreiche deutsche demokratische Revolutionsversuch ist viel zu früh unter Grundgesetz und Geldgeschenken begraben worden. Diese Erkenntnis ist trivial.

Trivial ist aber auch die Tatsache, daß es die Einheit nun mal gibt. Deshalb läßt es sich nicht vermeiden, daß sich nun auch die Westdeutschen an der ostdeutschen Vergangenheit zu schaffen machen: Sie macht uns ja wirklich zu schaffen.

Der Neigung, von oben herab die Vergangenheitsbewältigung zu diktieren, sollte man allerdings widerstehen. Seinen Bonner Parteifreunden hat der Berliner CDU-Politiker Eberhard Diepgen zu Recht dieses Argument entgegengehalten. Umso schlimmer, daß der Berliner Regierungschef Eberhard Diepgen nun selbst in diese herrische Geste verfällt.

Sich um die Beseitigung der »äußerlichen Spuren« zu sorgen, während man die eigene Macht auch auf Funktionäre einer SED- treuen Blockpartei stützt, ist ärgerlich. Unerhört ist der Unterton, der eine ganze Gesellschaft zur Beseitigung freigibt und damit auch das Leben entwertet, das die Menschen 40 Jahre lang zwischen diesen »äußerlichen Spuren« verbrachten.

16 Millionen ehemalige DDR-Bürger gibt es noch. Im Schnellkurs sollen sie nun auf »Westen« umlernen. Kein Wunder, daß Lenin manchmal noch lebt. Hans-Martin Tillack

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen