KOMMENTAR: Verteidigungsrituale
■ Der Rektor der Humboldt-Uni in Berlin will kein Stasi-Mitarbeiter gewesen sein
Es ist immer wieder das gleiche: Kaum legt die Gauck-Behörde einen Überprüfungsbericht vor, schreien die darin als Spitzel Genannten „Rufmord“, „Aktenmanipulation“ oder „Nie habe ich eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet“. Ob Ibrahim Böhme, Wolfgang Schnur, Lothar de Maizière oder jetzt Heinrich Fink — das Ritual wiederholt sich. Zugegeben wird nur, was schwarz auf weiß vorliegt und nicht dementiert werden kann. Wer anhand der Aktenlage der Sonderbehörde als Stasi-Informant genannt wird, sucht hinter der Behauptung Schutz, selbst ein Opfer der Stasi gewesen zu sein. Von „zwangsläufigen Kontakten“ zum Mielke-Ministerium ist dann die Rede, von abgelehnten Werbungsversuchen oder davon, daß man den eigenen Untergebenen, die ins Visier der Stasi geraten waren, nur helfen wollte. Regelmäßig wird schließlich auch gefordert, die Akten offenzulegen, und mit möglichen Rechtsmitteln gedroht. Das läßt sich auch leicht tun, wenn man weiß, daß die einen selber betreffenden Unterlagen vernichtet wurden wie bei Fink.
Daß die ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter dennoch früherer Stasi-Machenschaften überführt werden können, ist der Bürokratie im Spitzelministerium geschuldet. Ist die persönliche Akte weg, heißt das noch lange nicht, daß der Betreffende nicht an anderer Stelle in Unterlagen verzeichnet wurde. Ein Stichwort dafür heißt „Tiefenrevision“. Der Wahn in Mielkes Ministerium, die eigene Bevölkerung möglichst effektiv zu überwachen, führte dazu, regelrechte Hitlisten über Tauglichkeit der Informanten anzulegen. Listen und Unterlagen, die bei der Vernichtung der IM-Akten vergessen wurden. Die Bürokratie ging sogar so weit, wie im Fall des Stasi-Informanten „Czerny“ (de Maizière), Protokolle über die zu vernichtenden Akten anzulegen. Unbequemes Wissen tritt darüber hinaus zutage, wenn die Gauck-Behörde Aktenbestände rekonstruiert, die zwar zur Vernichtung bestimmt waren, aber in letzter Minute gesichert werden konnten. Es wundert nicht, wenn nun behauptet wird, Akten und Unterlagen könnten gefälscht oder manipuliert worden sein. Die Aussagekraft der Stasi-Unterlagen und der darauf gestützten Überprüfungsberichte soll damit in Zweifel gezogen und der Verdacht genährt werden, das Motiv für eine gezielte Denunziation wären parteipolitische Interessen. Behauptungen über Aktenmanipulation gibt es massenhaft — allerdings nicht einen konkreten Fall, in dem sie nachgewiesen werden konnte. Wolfgang Gast
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