piwik no script img

KOMMENTARRückkehr der Führerlosen

■ Für Rechtsradikale ist die Durststrecke endgültig vorbei

Vor zehn Jahren gab es unter Grünen ein Bonmot, womit auf den vermeintlich möglichen Verzicht politischer Prominenz hingewiesen wurde: Selbst mit einem Besenstiel als Spitzenkandidat hätte es Zuwachsraten gegeben. Was vor zehn Jahren für die Grünen galt, gilt heute für die Rechtsradikalen. Auch ohne einen Jean-Marie Le Pen oder einen Jörg Haider haben die deutschen Gesinnungsgenossen in Baden-Württemberg zusammengenommen fast 15 Prozent aller Stimmen einsammeln können.

Somit ist zunächst eines festzustellen: Der Aufschwung des Rechtsradikalismus im parlamentarischen Raum, der durch den Fall der Mauer 1989 gestoppt wurde, knüpft dort wieder an, wo Schönhuber vor der Wiedervereinigung angelangt war. Das vorübergehende Hoch der CDU, bedingt durch die überragende Dominanz Kohls auch für die gesamte nationale bis nationalistische Szene, ist beendet. Für den Bundeskanzler sind die Zeiten vorbei, in denen es ihm gelang, sich als Führungsfigur für das nationale Lager insgesamt bejubeln zu lassen. Wenn es je noch eines Beweises bedurft hätte, so ist er nun erbracht — die nationalen Hochgefühle über das wiedervereinigte Deutschland sind vorbei, vor uns liegt eine neue Normalität.

Meinungsumfragen vor den Landtagswahlen haben gezeigt, daß die Wähler sowohl im Norden als auch im Süden in hohem Maße unter bundespolitischen Gesichtspunkten abgestimmt haben. Weder die CDU noch die SPD werden sich auf regionale Ursachen des Desasters herausreden können. Einen ersten Schuldigen hatten alle bereits am Wahlabend präsent. Wie man es auch dreht und wendet, die Flüchtlinge sind schuld. Das Thema Asyl ist angeblich die Ursache dafür, daß die führerlosen Deutschen zu den Rechtsradikalen rennen, obgleich die noch nicht einmal eine Führungsfigur präsentieren können. Während die CDU vorgibt, nicht massiv genug auf die Flüchtlinge eingedroschen zu haben, gibt die SPD sich zerknirscht ob ihres Schlingerkurses. Was das heißt, ist völlig unklar; klar ist nur, daß die Sozialdemokraten jedenfalls nicht offensiv für ein Bleiberecht der Flüchtlinge eingetreten sind, sondern sich an die Rockschöße der CDU gehängt hatten. Genützt hat es beiden nicht, denn in puncto Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind Reps, DVU, NPD und wie sie alle heißen nun einmal nicht zu überbieten.

Man darf nun gespannt sein, welche politischen Konsequenzen beide großen Parteien auf Bundesebene nun aus diesen Ergebnissen ziehen werden. Wie vordem bei den Grünen muß man nach diesen Wahlen davon ausgehen, daß rechtsradikale Parteien zukünftig auf ein stabiles Potential bundesweit rechnen können. Innerhalb der CDU werden sich die Stimmen mehren, die fordern, die Rechten dadurch wieder herunterzubringen, daß man ihre Themen möglichst identisch übernimmt. Kohl und seine Kofferträger werden es jedenfalls zu verhindern wissen, daß innerhalb der Union danach gefragt wird, ob es tatsächlich sinnvoll war, den Leuten zu erzählen, sie bekämen die Einheit zum Nulltarif. Fast dasselbe gilt für die SPD. Was für die CDU die Einheitskosten sind, ist für die SPD die Flüchtlingsfrage. Niemand glaubt ihr, das Sammelunterkünfte das Problem lösen. Doch auch die SPD traut sich nicht, ihren Wählern zu sagen, daß die reichen Deutschen sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß auch andere daran partizipieren wollen, daß Abschottung nicht nur nichts bringt, sondern ein Verlust ganz anderer Art wäre. Machen beide Parteien so weiter, wird der Aufstieg eines kommenden Möchtegernfüheres kaum zu verhindern sein. Jürgen Gottschlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen