KOMMENTAR: Normalität als Skandal
■ Die gedankenlose Abschiebung eines Unidozenten
Innensenator Dieter Heckelmann ließ wieder mal zuschlagen. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde der kolumbianische Diplomingenieur, Dozent und Familienvater Milton Amador nach zwölfjährigem Leben in Berlin in sein Geburtsland abgeschoben. Fassungslos zurück blieben seine beiden Kinder und seine Arbeitgeber, für die der hochqualifizierte Ingenieur nicht oder nur sehr schwer ersetzbar ist. »Solch einen Mann finden wir nicht per Stellenanzeige«, klagt der Chef der Flugzeugfirma Stemme, für die Amador Millionenaufträge an Land ziehen sollte.
Aber er war ja nicht gefragt worden. Genausowenig wie die TU oder die Fachhochschule der Telekom oder die Uni Potsdam, wo der Kolumbianer lehrte bzw. lehren sollte. Einsam und allein hatten Ausländerbehörde und Oberverwaltungsrichter beschlossen: Der Mann hat sein Studium beendet, der Mann muß weg. An seinem Aufenthalt bestehe »kein öffentliches Interesse«, beschlossen sie selbstherrlich, ohne die involvierten öffentlichen Institutionen oder Privatfirmen — an deren Förderung ja in diesem Lande zu Recht oder zu Unrecht massivstes öffentliches Interesse besteht — um ihre Meinung zu bitten.
Nun sitzt der Mann also irgendwo in Kolumbien. Mittellos. Ohne Job. Hier wurde seine Familie und seine verheißungsvolle berufliche Zukunft zerstört, dort hat er keine Perspektive. Mit dem Verkauf von Kleinflugzeugen, die Umweltsündern und Waldabholzern hätten nachspüren können, hätte er womöglich der hiesigen und der dortigen Ökonomie helfen können. Statt dessen wurde er ins Flugzeug gepackt und ins Nichts gestoßen. Herzlichen Glückwünsch zu dieser modernen Form von Entwicklungspolitik, Herr Heckelmann.
Aber Peter Meyer, der Anwalt des Kolumbianers, hat ebenfalls recht, wenn er auf die ganz normale, ganz alltägliche, in Hunderten von Abschiebungen feststellbare Gedankenlosigkeit der Bürokraten verweist, die höchst privatim und höchst restriktiv definieren, was das »öffentliche Interesse« sei, und jeden Entscheidungsspielraum verwerfen. Milton Amador ist kein Einzelfall, er hat sogar das Glück, eine etwas bessere Lobby zu haben als viele andere Unglückliche, die sich keines Uni-Jobs erfreuen. Die Normalität des Inhumanen ist der Skandal. Ute Scheub
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