KOMMENTAR: Zwischen Aufklärung und Wählervotum
■ Der Streit im Stolpe-Ausschuß wird für das Bündnis90 zur Koalitionsfrage
Zwischen Aufklärung und Wählervotum Der Streit im Stolpe-Ausschuß wird für das Bündnis90 zur Koalitionsfrage
Die Mehrheit im Stolpe-Ausschuß, die SPD und FDP bilden, hat vor allem eines deutlich gemacht: Sie will die Auseinandersetzung um die vielfältigen Stasi-Kontakte des Landesvaters auf der Stelle beenden. Während der Ausschußvorsitzende, ein PDS-Mann, einen tendenziös entlastenden Zwischenbericht erstellt, die CDU neue belastende Materialien gegen Stolpe ankündigt und der Vertreter des Bündnis90 beinahe alleine die kritische Befragung der früheren Stasi- Offiziere bestreitet, setzen SPD und PDS auf ein abruptes Ende der Debatte. Die Motive der sozialliberalen Ausschuß-Koalition liegen offen zutage:
—Die SPD sieht sich durch das überwältigende Votum für die neue Landesverfassung bestätigt, das sie immer mit einer Zustimmung für den Ministerpräsidenten aus ihren Reihen gleichgesetzt hat. Wer jetzt noch am Ministerpräsidenten herummäkelt, dem wird's der Wähler schon heimzahlen.
—Die Abgeordnete Fuchs treiben im Ausschuß offensichtlich andere Motive. Die populistische FDP-Frau, die als frührere Leiterin des Stasi-Archivs in Frankfurt/Oder der Gauck-Behörde einen nahezu unbrauchbaren Unterlagenberg hinterließ, hat aus ihrer Abneigung gegen den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen keinen Hehl gemacht. Für Fuchs stand eine Entlastung Stolpes schon vor der Vernehmung der Zeugen fest.
Das Vorgehen im Brandenburger Ausschuß trifft zwar die Stimmung im Lande, es wird sich aber möglicherweise für die regierende Ampelkoalition in Postdam noch bitter rächen. SPD und FDP werden nicht nur erklären müssen, wie sie gegen alle parlamentarischen Gepflogenheiten einen Entlastungsbericht für Manfred Stolpe ohne jede Diskussion durchzocken, während sie zeitgleich formal der weiteren Ladung neuer Zeugen und damit der Fortdauer der Ausschußarbeit zustimmen — sie müssen zugleich mit einer heftigen Reaktion in der Regierungskoalition rechnen. Das Bündnis90, das zwei Kabinettsmitglieder stellt, kann sich den Durchmarsch der Regierungspartner nicht einfach gefallen lassen. Den Bürgerrechtlern ist einerseits zwar bewußt, daß auch ihre Wählerklientel zum größeren Teil ein Ende der Stolpe-Debatte fordert und eine weitere Demontage des Kirchenmannes mit dem Siegeszug der Westler im Osten gleichsetzt. Die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit ist aber gleichwohl ein Essential im Selbstverständnis der Bündnis-90-Politiker. Den Widerspruch, Stolpe einerseits im Ausschuß als belastete Person einzuschätzen, ihn andererseits im Kabinett als entlasteten Ministerpräsidenten mittragen zu müssen, werden die Vertreter der Bürgerbewegung irgendwie auflösen müssen. Wenn sie ihre Grundsätze nicht aufgeben wollen, kann dies nur auf Kosten der Ampelkoalition gehen. Wolfgang Gast
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