KOMMENTAR: Europa bleibt mangelhaft
■ Das hauchdünne „Oui“ macht die Verträge nicht besser
Mit einer hauchdünnen Mehrheit haben die FranzösInnen „Oui“ gesagt — und durch zwölf Hauptstädte geht ein erleichtertes Aufatmen. Nachdem den FranzösInnen wochenlang mit dem Untergang Europas gedroht wurde, heißt die Parole jetzt: Europa erst mal gerettet.
Dabei stand Europa gar nicht zur Debatte. Europa — dieses nicht bürokratisch faßbare Ensemble aus Geschichte, Geographie und Kultur — existiert jenseits aller Referenda. Auch die Europäische Gemeinschaft war nicht Gegenstand der Abstimmung. Die EG hat sich in den 35 Jahren ihres Bestehens mit Tausenden von Bestimmungen und Gesetzen tief in die Realität ihrer Mitgliedsländer eingegraben. Niemand hat die FranzösInnen gefragt, ob sie dieses Rad zurückdrehen wollten. Auch über den europäischen Binnenmarkt sollte nicht entschieden werden — der beginnt — unabhängig vom Ausgang des Referendums — Anfang kommenden Jahres.
Zur Debatte standen Verträge, die den weiteren Weg zu einer sogenannten „Europäischen Union“ festlegen. Der Schwerpunkt dieser Kompromißpapiere liegt auf einer künftigen Wirtschafts- und Währungsunion. Darüber hinaus bleiben sie fragmentarisch. Sie sehen nicht einmal eine Sozialunion zur Garantie von europaweiten ArbeiterInnenrechten vor. Die außenpolitische Zusammenarbeit bleibt völlig vage. Als neue Qualität wird allerdings das Ziel einer europäischen Verteidigungspolitik formuliert.
Nicht vorgesehen ist in den Verträgen eine demokratische Kontrolle der Politik in der „Europäischen Union“. Fern von den 370 Millionen EG-EuropäerInnen, fern von den nationalen Parlamenten und sogar fern von dem Straßburger Europaparlament sollen die Mitgliedsregierungen und BürokratInnen in Brüssel schalten und walten können.
Dieses Legitimationsdefizit ist zum festen Bestandteil der EG-Politik geworden. Es rechtfertigt das Mißtrauen gegenüber den Maastrichter Verträgen und ihren MacherInnen. Und es erklärt das abgrundtiefe Mißtrauen, das in Dänemark, in Frankreich und in zahlreichen anderen EG-Mitgliedsländern gegenüber der politischen Elite grassiert.
Die knappe Zustimmung zu dem Referendum in Frankreich macht die Verträge keinen Deut besser als sie sind. Es muß als Warnung verstanden werden und als Aufforderung, die Verträge neu zu verhandeln. Eine Europäische Union ohne demokratische Kontrolle kann die Gefahren, die der Demokratie und dem Frieden in Europa drohen, nicht bannen. Dorothea Hahn
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