KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE : Die neuen Ressentiments
Markiert diese Wahl eine Zäsur im bundesdeutschen Liberalismus? Der Erfolg der AfD und das klägliche Resultat der FDP deuten dies an. Die FDP war ideologisch ziemlich dehnbar, mal nationalkonservativ, dann sozialliberal, später unter Westerwelle herzlos neoliberal. Doch eins war die FDP nicht: populistisch und plump ausländerfeindlich.
Der Abstieg der FDP und der Aufstieg der AfD zeigen, dass sich im liberalen Kernmilieu etwas verschiebt. Dafür gibt es schon lange Anzeichen – etwa die ruppige Begeisterung im Bildungsbürgertum für den Rassismus light à la Sarrazin. Es gibt eine Szene von Besserverdienenden, denen die Multikultirepublik auf die Nerven geht und die gar keine Lust haben, für faule Griechen zu zahlen. Auch die atemlose Aufregung über den „Veggie Day“ als vermeintliches Symbol einer repressiven Political Correctness zeigte, dass es einen neuen Resonanzboden für Ressentiments gibt: Endlich Schluss mit diesem Gutmenschengetue.
Bislang war es eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass sich Rechtsausleger – von Schill bis zur DVU – früher oder später selbst zerstörten. Ob die AfD über genug bürgerliche Substanz verfügt, mag ungewiss sein. So weit ins bürgerliche, professorale Milieu ist keine ihrer Vorgänger vorgedrungen. Darauf zu vertrauen, dass die AfD sich schon selbst ruinieren wird, ist naiv.
Man kann den AfD-Erfolg als eine Art europäischer Normalisierung lesen. Die Ablösung liberaler durch rechtspopulistische Parteien hat in Österreich und den Niederlanden längst stattgefunden. Also Euroskepsis als Annäherung an die EU-Norm? Diese dialektische Selbstberuhigung täuscht. Dass die AfD schon jetzt auf die politische Mitte abstrahlt, zeigten SPD und Union. Merkel hielt es für nötig, populistisch über EU-Arme herzuziehen, die SPD inszenierte Martin Schulz mit einem peinlichen Plakat als deutschen Kandidaten. Nein, keine Hysterie. Und bloß kein Herumfuchteln mit Nazivergleichen. Aber mit der AfD gibt es hierzulande erstmals eine erfolgreiche europaskeptische Kraft. Es ist ernst.