KOMMENTAR EUROVISION SONG CONTEST: Galaxie des Eurokitsch
Als Serbien das Popevent ausrichtete, hielten die Belgrader still, um dann beim Gay Pride wieder Schwule zu jagen. Die Eurovision kommt nach Baku, na und? Pest trifft Cholera.
I m Zentrum von Belgrad und mitten im jüngst renovierten Stadtpark, prunkt ein Denkmal des legendären Präsidenten von Aserbaidschan. Hejdar Alijew verstarb 2003, aber die Erinnerung an den unter anderem von ihm zu verantwortenden Krieg mit geschätzten 30.000 Toten und etwa einer Million Vertriebenen ist bis heute in guter Erinnerung.
Warum ehren die Serben diesen blutrünstigen Diktator? Die Antwort ist einfach: Aserbaidschan hat die Parkrenovierung bezahlt, außerdem besitzt das Land das Öl und das Erdgas, das Serbien braucht. Die südkaukasisch-westbalkanische Freundschaft braucht also niemanden zu wundern.
Aber es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten dieser auf den ersten Blick so unterschiedlichen Länder. Die für diesen Text wichtigste vorweg: Beide Länder haben den Eurovision Song Contest gewonnen, Serbien 2007. Doch bevor wir auf diesen unerfreulichen Umstand näher eingehen, ein paar politisch relevante Gemeinsamkeiten für den Kontext: In Serbien genauso wie in Aserbaidschan regiert eine Clique von skrupellosen Neureichen, mit dem kleinen Unterschied, dass Serbien bankrott ist und Aserbaidschan immer reicher wird.
Beide sind berühmt für ihre Korruption, die alle Poren der Gesellschaft durchdringt und dafür, umstrittene Territorien (Nagorny Karabach einerseits und das Kosovo andererseits) mit blutigen Kriegen zu „verteidigen“, die sie dann – genauso wie die Gebiete – verlieren. Aserbaidschan wie Serbien suchen krampfhaft nach einer zeitgemäßen Identität und sind gleichzeitig auf je eigene Weise unfähig, sich von ihrer demokratiefeindlichen Vergangenheit loszusagen. Denn beiden Gesellschaften fehlt auf ganz grundsätzliche Weise das Verständnis für Menschenrechte. Und die Homophobie beider Gesellschaften ist legendär.
Bubble-Gum-Hit „Running scared“
Im Mai 2011, nur einen Monat bevor die blau-rot-grüne aserbaidschanische Flagge mit weißem Stern und Halbmond hoch über dem neuen Denkmal im Tasmajdan-Park flatterte, bescherte das Duo Ell & Nikki mit seinem klassisch eurovisionszuckrigen Song „Running scared“ Aserbaidschan den Sieg in Düsseldorf. Mit diesem von schwedischen Profis produzierten Bubble-Gum-Hit zeigte Aserbaidschan, dass es weiß, wie man richtig investiert. So wie eben auch mit der Renovierung des Belgrader Tasmajdan-Parks. Und also erinnerten sich bei der Einweihung des Alijew-Denkmals der serbische Präsident Tadic und sein eingeflogener Amtskollege aus Aserbaidschan gegenseitig an ihre überwältigenden Triumphe bei der Eurovision.
Dass diese Goldgrube der Geschmacklosigkeit in beiden Ländern außerordentlich populär ist, liegt auf der Hand. Je mehr man sich von der Mitte Europas entfernt und zu deren Rändern bewegt, desto blasser werden dort die sogenannten „europäischen Werte“. Die Leidenschaft für den Eurovisionswettbewerb indessen wird immer größer.
Angeführt von einem Popen
Bemerkenswerterweise haben die Belgrader im Mai 2008 gezeigt, dass sie europäische Werte temporär respektieren können. Auch wenn sie manisch homophob sind: Während der gesamteuropäischen Invasion der Homosexuellen zur Eurovision haben sie sich ganz ordentlich benommen. Die nicht zu übersehende internationale Gay Community konnte perfekt gestylt, mit über die Schultern geworfenen Designertaschen und Wasserflaschen in den Händen gut gelaunt durch die Stadt spazieren, in diesen freudigen Frühlingstagen. Und niemand behelligte sie, wenn sie in diesen noch freudigeren Nächten miteinander ins Bett gingen. Achselzuckend kniffen die Serben die Augen zusammen, bissen sich auf die Lippen und taten so, als würde nichts Ungewöhnliches auf ihren Straßen passieren.
Die Welt sollte ruhig glauben, dass diese aus sexuell neutralen Gründen stets übellaunige Stadt sich anschickte, die neue Homo-Hauptstadt Europas zu werden. Natürlich passierte nichts dergleichen. Schon beim nächsten Gay Pride in Belgrad wurden die Teilnehmer brutal angegriffen. Und zwar von den üblichen Verdächtigen: bartlose Ultrarechte und Hooligans, angeführt von den Popen der serbisch-orthodoxen Kirche und ermutigt von freudig klatschenden Passanten. Ob sich das alles in Baku auch so abspielen wird? Ich weiß es nicht. Aber Popevents verpuffen schnell.
„Unser Land befindet sich geografisch halb in Europa, halb in Asien. Wir wollen zur Einigung Europas und zu Toleranz und Verständnis beitragen“, zwitscherten Ell & Nikki verzückt nach ihrem Sieg. Das mit dem bisschen „Weltfrieden“ haben sie immerhin ausgelassen. Aber dieses exaltiert euroasiatische und eurovisionäre Idyll konnte nicht verhindern, dass in den vergangenen Monaten die Kritik an Aserbaidschans Umgang mit den Menschenrechten immer lauter wurde. Darf ein solcher Staat überhaupt eine so große und wichtige europäische Veranstaltung ausrichten?
Serbien ist einfach nur ärmer
Moment mal. Hat irgendjemand 2008 ernsthaft in Frage gestellt, dass Serbien den Eurovision Song Contest ausrichtet? Wer jetzt argumentiert, dass Serbien ja nun doch ein bisschen demokratischer sei als Aserbaidschan, der hat leider nicht ganz recht. Serbien ist einfach nur ärmer als die Kaukasusrepublik.
Man könnte sagen, dass sich der Eurosong zum Respekt vor dem guten Geschmack genauso verhält wie Aserbaidschan oder Serbien zum Respekt vor den Menschenrechten. Diese Mega-Galaxie des Euro-Kitsch und Euro-Amateurhaften ist eine zutiefst antieuropäische Veranstaltung, denn sie propagiert eine konservative, unendlich konventionelle und dumpfe Ästhetik. Und das nicht nur mit den musikalischen Darbietungen. Es wird eine Geisteshaltung und Weltsicht unterstützt, die mit dem unverzichtbaren Schwenken der Staatsflagge vehement auf die nationale und ethnische Karte setzt.
Und so verstehe ich die Kritiker nicht. Die Eurovision kommt nach Baku, na und? Pest trifft Cholera, das passiert alle Nase lang. Oder um die Bildebene zu wechseln: Godzilla trifft auf King Kong. Seien Sie ehrlich, kann es etwas Aufregenderes und Unterhaltsameres geben?
Aus dem Serbischen übersetzt von Doris Akrap
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