KOALITION IN HAMBURG: MODERNE KONZEPTE HABEN KEINE CHANCE MEHR: Ein Alibi namens Schill
Hamburg ist das Vorbild. Wenn eine Partei wie die Rechtsstaatliche Offensive des Amtsrichters Ronald Schill von CDU und FDP an den gemeinsamen Tisch geladen wird, dann haben die liberalen Kräfte bei Union und Freidemokraten nichts mehr zu bestellen. Ein Schill ist das herrliche Alibi für die Hardliner in der CDU, all ihre sicherheitspolitischen Fantasien wahr werden zu lassen und die Partei nach rechts zu rücken. Und die FDP segelt einfach hinterher.
Geschlossene Heime für Straftäter, Polizei an jeder Straßenecke, Videoüberwachung, „unwirtliche“ Gefängniszellen zur Abschreckung, das Verbot, im Gefängnis Spritzen an süchtige Häftlinge zu verteilen, Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor der Einbürgerung von Ausländern – all dies sind Punkte, die in der Öffentlichkeit als Schill-Forderungen galten und die nun ohne Probleme die Koalitionsverhandlungen passierten. Der sozialpolitische Flügel der CDU, der bürgerrechtliche Anteil der FDP – sie wurden zur Unkenntlichkeit gestutzt. In Hamburg haben CDU und FDP den sicherheitspolitischen Rigorismus hoffähig gemacht – flankiert und unterstützt natürlich auch durch die Steilvorlagen, die der Bundesinnenminister zurzeit täglich spielt. Moderne Konzepte in der Drogenpolitik, beim Umgang mit Flüchtlingen oder bei der Bekämpfung der Ursachen von Kriminalität, wie sie auch in der CDU Hamburgs teilweise existierten, haben in der künftigen Koalition absolut keine Chance mehr.
Ein besonders tristes Bild dabei bietet die FDP. Als liberale Partei eine Koalition mit Schill einzugehen ist der Sündenfall. Von bürgerrechtlichem Profil zu reden verbietet sich nur noch. Die Bundespartei nickt den Rechts-Kurs der Hanse-FDP ab und dient sich gleichzeitig als Ampel-Farbe für Berlin an. Das ist an Schizophrenie kaum zu überbieten.
Alles redet nur über Schill. Dabei – das haben die Koalitionsverhandlungen in Hamburg deutlich gezeigt – kann ein Typ wie Schill auch in anderen Bundesländern nur Erfolg haben, wenn es Christ- und Freidemokraten gibt, die ihn in den Arm nehmen, die seine Forderungen als die ihren übernehmen. Parteichefin Angela Merkel spricht inzwischen davon, dass 97 Prozent der Programmatik von CDU und Schill identisch seien. Und wenn sie damit Recht hat, dann ist die CDU zügig auf dem Weg zurück in die 50er-Jahre: Strafe statt Hilfe, Wegsperren statt Pädagogik, und die Straße gehört wieder den Autofahrern.
Schill ist nicht das Hauptproblem. Das Problem sind CDU und FDP. PETER AHRENS
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