piwik no script img

■ LEUTE VON HEUTEKLATSCH VON GESTERN

Lange Reden zu halten ist nicht jedermanns Sache. Und der Regierende hat sich mit der ganzen Stunde, die ihm sein Ghost- writer am Freitag abend für den Parteitag aufgeschrieben hatte, deutlich übernommen. Noch einmal hoben sich die Hände kräftig, als der obligatorische Satz in Richtung Lummer fiel: „Die Mauer muß weg“. Von da an tönten die Worte ins Leere. Die meisten der Delegierten bekamen Diepgen eh nicht zu sehen und mußten sich mit den Videowänden und Monitoren begnügen, die, aus der Not des langgezogenen Raumes im Druckhaus Tempelhof geboren, die zweifelhafte Tugend amerikanischen Flairs ausmachten. Ein Rückblick auf den Dackelwahlkampf 1985, bemüht gestaltet von Rias-1-Moderator Nero Brandenburg, wurde untermalt mit der Musikfarbe des zweiten Programms. Man wartete gespannt, doch nein, „We are the Champions“ tönte nicht aus den Lautsprechern. Jetzt schon siegesgewiß zu sein, würde die Wahlhelfer träge machen. Und diese Trägheit, die war des Generalsekretärs Landowsky größte Sorge. Nein, liebe Freunde rief er dann beschwörend in die Runde, wir kämpfen um jede Stimme. Bravo, da war der Beifall groß. Daß er der AL die Bedeutung einer „Herausforderung“ für die CDU zusprach, schmeckte den selbstbewußt gestimmten Anwesenden gar nicht. Doch Landowsky bestand darauf und malte das abgegriffene Horrorszenario Rot-Grün auf die bunten Videowände. „Sie werden es tun“, rief er den Delegierten zu. Sein großes Lob aber galt dem Spagat des Regierenden. Von Lummer bis Fink, wertkonservativ bis liberal-sozial. Lummer jedenfalls merkte gerade noch rechtzeitig, daß er klatschen mußte, als Diepgen die Aussiedler uneingeschränkt willkommen hieß. Und Fink der mußte extra seine DDR-Reise unterbrechen, sich brav neben die Frau Bürgermeister Laurien setzen und die Wahlreden beklatschen. Die CDU läßt es sich was kosten, der Gerüchteküche über den möglichen Absprung des sozialpolitischen Aushängeschildes in die Bundespolitik Einhalt zu gebieten. Überhaupt, die Bürgermeisterin. Fest steht sie, ein Eckpfeiler im Personenkarusell der christlich –liberalen Senatsriege. Man feiert sie herzlich, aber mit distanziertem Respekt. Und so mancher fragte sich am Freitag abend, was will sie bloß, als sie anhob, über die „Vergänglichkeit des Augenblicks“ und die „Verbindung von Raum und Zeit“ nachzudenken. Aber bitte, Frau Laurien, entschuldigen hätten Sie sich trotzdem nicht müssen für das Anspruchsvolle ihrer Worte! Später dann am Büfett waren wieder alle gleich. Und der Brathering scherte sich nicht drum, zwischen wessen Zähnen er verschwand. Mit einem herzhaften Biß verabschiedet sich

Marianne

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen