: KEINE BLUMENKINDER
■ „Gemälde“ von Varda Getzow und Ruprecht Dreher
Die Blumen von Ruprecht Dreher haben lange schmale Blätter. Wie sie vor dem hellblauen Hintergrund herunterschweben, erinnern sie an die Muster, die an Sommertagen vor vielen, vielen Jahren um die Gesichter der Kinder flatterten. Mütter, Tanten und deren Freundinnen trugen Röcke solcher Zierde. An ihnen schubberten die mit Butterkeksen, Thermoskanne und Bemmen gefüllten Picknickkörbe. Irgendwohin ins Grüne wurde gewandert nach einer langen Fahrt mit der Bummelbahn.
Solcherlei Erinnerungen werden von Drehers Bildern geweckt, auch wenn ihr Konzept und ihre Umgebung mit anderen Konnotationen behaftet ist. Ruprecht Dreher und Varda Getzow stellen eine Woche kurz in den ehemaligen Lagerräumen einer Verpackungsfabrik in Kreuzberg aus. Die Kellergewölbe sind riesig, von wenigen Pfeilern unterteilt. Der Blick darf frei wandern über die geweißten Wände, an denen sich neben Kohlenstaub und Spinnweben die Bilder der beiden Künstler niedergelassen haben.
Drehers Blumen sind tatsächlich aus Stoff, wenn auch nicht aus leichtem Sommerlinnen, sondern aus Frottee. Das aber mag noch aus der Zeit stammen, als das Kind auf besonders schönen Ausflügen in einen Teich springen durfte. Die Handtücher hat Dreher, derzeit Student der Medizin an der FU und vorzeit Schüler von Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf, auf Rahmen gespannt und in großformatige Rechtecke eingegliedert, die sich aus vielen anderen Vierecken zusammensetzen: Grün verbeißt sich in Orange, Rosa konkurriert mit Flieder, furniertes Kunstholz in widerlichem Siebziger-Jahre-Braun mit einer polarblauen oder einer sattgelben Fläche. Da hebt eins das andere auf und verliert sein Standardgefolge von Assoziationen. Längs- und Querformate halten einander die Stange und das Bild zusammen, auch wenn es als „Stern“ auf eine Ecke gekippt das Gleichgewicht zu verlieren und von der Wand zu fallen droht.
„Kunst kleidet“ ist der Titel der Arbeit mit den Mutterblumen, „Joker“ heißen zwei wie auf einer Spielkarte sich an der Mittelachse spiegelnden Geschirrhandtücher, „Falscher Hase“ mit dem braunen Fleck ist die ironische Referenz an Beuys. Den Höhepunkt bildet Drehers jüngste Arbeit, die „hypothetische Installation“. Das Gesicht zur Wand gedreht lockt sie zur Spekulation, was sich auf dem auf den schmalen Rahmen gespannten Handtuch befinden könnte neckisch klappt eine Ecke Holz zulang heraus und gibt dem ganzen Halt.
Der kleidsamen Kunst gegenüber hängen die Blumen der Israelin Varda Getzow, die die Stereotypen Drehers noch einmal vereinfacht. „Der Name der Blume ist acht“, behauptet sie und fängt an zu spielen. Die Acht, gedreht Zeichen des Unendlichen, findet sich als Blüte wieder. Dann gewandelt in „Die Tränen eines Flugzeuges“, von denen kleine erstaunte Augen herabschauen. Geschichten werden freundlich erzählt, in Bildern, in denen tierähnliche Wesen leinenbezogene Knöpfe am Körper tragen, Luftballons mit den gleichen verziert werden. Gesucht wird die Nähe zu Kinderzeichnungen und ist besonders auffällig in den kleinen Aquarellen, die über zwei für Beine, Körper und Arme stehenden geknickten Strichen einen kullerrunden Kopf zeigen. Aus den Brüsten zwischen den beiden Strichen lugen noch einmal Gesichter hervor.
Getzow näht und knöpft auch auf gelochtem Papier, über das sich schwarze Tusche ergossen hat. Die Stücke befinden sich hinter einfachem rahmenlosen Glas. Dreher hat seine kleinen farbigen Collagen ebenfalls in Rahmen der billigsten Sorte gesteckt, in weiße Fotorahmen, die eher in Jugendzimmern zu vermuten sind. Die weißen Passepartouts darin sind schlecht geschnitten, billige Massenware, die auf die zu colorierten Flächen gesellten schwarzweiß kopierten Strukturen in den Rahmen verweisen. Strukturen sind auch wesentlicher Bestandteil der großen Arbeiten Drehers, die sich erst entdecken lassen, wenn die blendende Kraft der Knallfarben durchschaut wurde: Poren von Kunststoff, Mörtel unter Farbe, Schlitze in Folien, und Wärme hat Wellen in sie geformt. Über diesen Entdeckungen verblassen mit der Zeit die von den korallgewaschenen Handtüchern heraufbeschworenen Kindheitserinnerungen.
Claudia Wahjudi
Bis 30.6., täglich 17-21 Uhr im Fabrikgebäude, Dieffenbachstraße 33, 3. HH., 1-61.
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