: KEIN BILLIGER TREPPENWITZ
■ Patent Nummer 3719665: Fahrbare Stativvorrichtung für Treppenfahrten
KEIN BILLIGER TREPPENWITZ
Patent Nummer 3719665: Fahrbare Stativvorrichtung für
Treppenfahrten
Bernhard Wember ist ein patenter Kerl und nebenbei auch noch Filmprofessor an der HdK, aber das merkt man ihm nicht so schnell an, denn er redet glücklicherweise nicht im aufgeblasenen Expertenslang akademischer Wichtigtuerei daher. Mit großen Bubenaugen erzählt er seine Geschichte von einem, der auszog, die unbekannte Welt der Erfindungen und Patentämter zu entdecken. Tief beeindruckt von seinen Abenteuern mit dem Patent Nummer 3719665 hat er direkt den Erteilungsbeschluß des Deutschen Patentamtes über eine „fahrbare Stativvorrichtung für eine Filmkamera, insbesondere für Treppenfahrten“, der Pressemappe beigefügt.
Während der Arbeiten an seinem neuen Film, einer Hommage an den Großmeister Eisenstein, „Die Diktatur der Sachzwänge“, geriet er in ebensolche: Wie kann man die berühmte Odessa -Treppenszene aus dem „Potemkin“ realisieren, ohne sich finanziell an den sündhaft teuren Hydraulikkränen zu verheben, deren hochpräzise und komplizierte Apparatur für solche filmtechnisch ausgebufften Einstellungen normalerweise unentbehrlich ist. Für seine Filmprojekte muß Wember jede Mark zusammenhalten, denn außer lobhudelnder Preisung für seine Filme („Vergiftet oder arbeitslos?“) springt für ihn nicht viel an Unterstützung heraus. Da heißt es am Aufwand sparen und zwar in jeder Hinsicht, und so ward aus der trüben Not die schöne Tugend geboren: eine fahrbare Kamerastativkonstruktion, die auf Schienen ohne Schwellen läuft. Ohne Schwellen ist wichtig, denn dadurch kann die Kamera den Raum zwischen den Schienen ohne jeden Störfaktor erfassen. Als Schienen werden Aluminium-Profilstangen verwendet; die Spurbreite ist beliebig breit zu variieren und die Schienen sind ohne jede weitere Halterung leicht und frei verlegbar. Durch Spezialräder justiert der Kamerawagen von allein die Spurbreite der Schienen während der Fahrt. Da das Stativ in der Höhe beliebig verstellbar ist, werden Kamerafahrten, die absolut knapp über den Boden gehen, möglich. In erster Linie wurde der Wagen zwar für Fahraufnahmen über Treppen entwickelt, aber geländetauglich ist er auch. Nur schieben muß der Kameramensch ihn selbst, falls er nicht gerade zwei Assis am Start hat, doch leicht ist das Ding, schwuppdiwupp hat's Wember in die Luft gehoben. Ehrensache des Erfinders, daß alles komplett zerlegbar und leicht verstaubar ist. Klasse Filmaufnahmen gab es dann zu sehen: Wie im Zeitlupenflug huscht die Kamera dicht über die Treppen hinweg, deren plastischer, sich öffnender Eindruck durch die Verwendung eines Superweitwinkelobjektivs erreicht wurde.
Von der Vorführung des Patents Nummer 3719665 war der SFB -Fernsehfritze derart hinüber, daß er gleich eine Sonderkamerafahrt für sich buchte. Da keimt in der Tat die Hoffnung, daß die Langweiler-Produktionen des SFB bald durch schwindelerregende Berliner Treppenimpressionen ein jähes Ende finden werden. Eher zu fürchten ist hingegen eine Treppen-Inflation im Jungfilmer- und Low-Budget-Bereich, da könnte Wembers preiswertes und effektives Konstrukt sicher schnell zum billigen Treppenwitz mißraten. Und auf den antiken Stufen der Akropolis tummeln sich Touris mit Alustangen; Vati fluchend an der Kamera, Mutti und Blag schweißgebadet im Angesicht des Schiebens...Andreas Döhler
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