: KATASTROPHEN LERNEN
■ Die Ringvorlesung „Was ist Philosophie?“ an der FU
„Das Beste, was die Kinder mit ihrem Spielzeug machen können, ist, daß sie dasselbe zerbrechen.“ Soweit ein berühmter Berliner Rechtsphilosoph. Nein, nicht Uwe Wessel, Friedrich Hegel. Aber verschieden wie die Kinder sind auch die Philosophen. Die einen pflegen ihr Spielzeug, packen es brav zurück in die Kiste und lassen niemand anders damit rummachen. Sie werden später einmal bei Tugendhat Sprachanalytik studieren und dann Deutschlehrer werden.
Die anderen sind die anderen. Die brave Philosophie sieht sich somit ihrem Anderssein aus individueller Frühzeit gegenüber in der gereiften Form: als Zynismus und Dialektik.
Dienstag, 1.11.: Mann kann natürlich wie Tugendhat die Rostlaube zum Elfenbeinturm methamorphorisieren (Deutschlehrer vor!), ein paar vorgeblich a-priorische Begriffe verlauten lassen (Wahrheit, Gutheit, Sein und Tod), von Handlungsorientierung in der Lebenswelt erzählen, und dies als Antwort auf die selbstgestellte Frage „Was ist Weisheitsliebe“ gelten lassen.
Dienstag, 8.11.: Als nächster kam Prucha, weniger brav als höflich, gegenüber seinem Vorredner, den Besetzern der Rostlaube und der Philosophie. Freundlich wurden Nietzsche und Heidegger mit Marcuse gekontert, „Freiheit als Willkür“ mußte sich „Freiheit aus Gegenseitigkeit“ stellen, und am Ende sollte die Philosophie noch bei der Lösung der ökologischen Krise mithelfen. Zurück in die Tonnen.
Dienstag, 22.11.: Zeit für böse Kinder, Zeit für Prof.Dr.Maurer, der dem Tugendhat mal „Herrenmensch„-Allüren vorgeworfen hat und der den massenhaften Besuch der Veranstaltung schlicht kommentiert: „Wie die Ratten im Labyrinth.“ „Was heute Philosophie zu heißen verdient?“ wollte Prof. Maurer beantworten. Die Entlarvung von Anmaßung, die entlarvte Anmaßung, das Fragwürdig-werden -Lassen der eigenen Voraussetzungen. Richtungsweisend war da mal Platons kritisch-negative Dialektik auf der Suche nach dem Grund. Die Analytische Philosophie sei dagegen nur eine Immunisierungs- und Problemverdrängungsstrategie, die die eigene Impotenz als Grundlage für eine allgemeine Diagnose nehme. Krise sei die Moderne mit der Postmodernen als Aufklärung der Aufklärung über sich selbst konfrontiert, das Querdenkertum bleibe notwendig.
Maurers aktuelles Beispiel: Der kolumbianische Katholik Nicolas Gomez Davila, der nur noch Aphorismen produziert. Maurer bezeichnete Davila als den originären Reaktionär, der jedwede Ordnung, Autorität oder auch nur Tradition der Moderne als Lüge entlarvt, dabei eine Wahrheit vermittelnd, die nicht stirbt: die Apokalypse. Extravagante Katastrophen sorgen für die ewige Gegenwart von Problemen, nur darin besteht Geschichte. Die Demokratie erweist sich als Fehlgeburt, der Aufstand, den die Linke predigt, ist nur Karrieremittel, wobei die Aktion die Zuflucht der verängstigten Geister darstellt. Die Freiheit läßt sich mit einem Soldaten verteidigen, zur Durchsetzung der Gleichheit bedarf es Tausender von Polizisten. Aus der Taktik der Guerilla destilliert Davila das Prinzip der Einsamkeit, deren geheime Waffe gegen die moderne Welt die Verweigerung von Systematik und Methode im Kampf gegen den universalen Konsens der Dummköpfe darstellt. Die Erde ist dem Davila das Jammertal, in dem nur die Heiligkeit und das Wunder leuchten als Geheimnis der Geschichte. Leichenschwärmerei und Massenverachtung konkretisiert sodann Maurer: Tschernobyl war notwendig, nur aus negativen Erfahrungen lerne der Mensch. Vielleicht sei die Wasserstoffbombe die letzte Hoffnung der Menschheit, vielleicht - und das hat er nicht gesagt, nur gemeint - war Auschwitz nur ein großes, grausames Spiel. Es gibt Leute, die halten ihr Maul erst, wenn man ihnen draufhaut. Böse Kinder.
Das Publikum aus Aufklärern und Rationalisten war ratlos, aber emotional betroffen. Immerhin, „Vernebelung des Klassenwiderspruchs“ wurde vorgeworfen, und als Gipfel der Empörung: „Wo sind Ihre Argumente?“ beziehungsweise: „Der hält sein Maul erst, wenn man ihm draufhaut.“ Böse Kinder.
Abspann: „Begründen kann man alles, Foucault hat dazu mal was Erhellendes gesagt“, dies ein letztes Mal Maurer. Ist solcher Zynismus nun eine Variante des Ödipuskomplexes, Ausdruck enttäuschter Moral oder schlicht berechtigt? Nun braucht, wer zu Auschwitz schweigt, von Stammheim auch nicht zu reden, und so erwarten wir morgen um 20 Uhr im Hörsaal 1 der Rostlaube Wolfgang Lefevre: „Was ist Philosophie?“
Karsten Dose
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