: KAFKASCHER OPTIMISMUS
■ „Teatr Na Rogu“ zeigt „Amerika“ im Theater Zerbrochene Fenster
Was ist der da für einer, verlegen an seinen Koffer geklammert, hinter einem Zettel, der ihm ans Revers gesteckt ist? „Immigrant, N.Y.“, sechshundertundetwas? Sind es politische oder die heute verfemten ökonomischen Gründe, die ihn Aufnahme im fremden Land suchen lassen?
So peinlich bräuchte er sich gar nicht zu sein. Denn er erreicht das „Amerika“ des beginnenden Jahrhunderts, das noch nach Kräften und mit allerhand Geld- und Glückslügen Arbeitswillige aus aller Welt zusammensuchte. Und Karl Rossmann ist wohlbehütet: Von den gutbürgerlichen Eltern, die ihn einer standeswidrigen Liebschaft halber aus ihrer Nähe verbannen, ist er der Fürsorge des erfolgreichen amerikanischen Onkels anempfohlen. Dessen Herzlichkeit erscheint Rossmann als Kälte, ein Gastmahl unter Freunden wird ihm zum absurden, beängstigenden Ritual.
„Amerika“ ist der früheste Roman Franz Kafkas. Vom Krakower „Teatr Na Rogu“ wurde er in eine überraschende, gar nicht „Kafkaeske“ Bühnenfassung übersetzt. Statt in grauen Endlosigkeiten wird auf einer engen, buntflickig ausgekleideten Bühne gespielt. Das charakteristische Schleichen des Onkels, das maschinelle, zugleich an das Zucken der Alltagsneurose erinnernde Gebaren seines Helfers, das plötzliche Zum-Leben-Erwachen einer etwas heruntergekommenen Freiheitsstatue, die Rossmann chromatisch skandierend belehrt, tragen unüberwindliche Fremde, Bedrohlichkeit in sich. Eine Off-Stimme läßt den Direktor des labyrinthischen Hotels nur ahnen, dessen hierarchische Höhe und Ferne Liftboy Rossmann in seinem hilflos gefangenen Annähern und Zurückweichen darstellt. Und wenn der krampfend verbindlich lächelnde Liftboy in einem Hagel von (Trinkgeld -)Münzen unterzugehen droht, ist es nur einer der vielen Momente, in denen sich ein trefflich sarkastischer Humor aus bester Slapstick-Tradition befreit. Schließlich Kafkas Roman folgend, das Umschlagen in einen absurden, die entfremdete Seele rettenden Optimismus: Nach langen Irrungen durch Szenerien des Elends arriviert Rossmann auf wunderbare Weise zum Star des „Naturtheaters von Oklahoma“.
Die Aufführung des „Teatr Na Rogu“, wiewohl genau und gekonnt einstudiert, verweigert sich dem Eindruck von Perfektion; sie erscheint wirklich und direkt. In solch einer lebendigen Interpretation sollte man Kafka einmal gesehen haben.
gla
Im Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16 zeigt heute um 21 Uhr „Teatr Na Rogu“ „Amerika„; vom 5. bis 8.7. gastiert „Teatret Marquez“ mit „One More Planet, Please!„; vom 9. bis 12.7. „Barnaby Gale“ mit „Saturday Night Special“, jeweils 21 Uhr.
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