KAA Gent in der Champions League: Mit Federn gegen Wölfe
Die KAA Gent wirbelt in der belgischen Liga und verbreitet in der Champions League Schrecken. Der VfL Wolfsburg soll das nächste Opfer sein.
Vor einem Jahr war Gent bekannt für seine Musikszene, Nachtleben und progressives Klima. Das Image der alten Unistadt erinnert an ein belgisches Freiburg, nicht zu Unrecht gilt sie als Kontrapunkt zum nationalistischen Mainstream in der Region Flandern. Fußball?
Nun, die Atletiek Associatie, die sich wie jeder belgische Klub seit ihrem 50. Geburtstag ein „königlich“ vor den Namen setzten darf, war zwar immer da, holte aber so gut wie nie irgendetwas Zählbares, mit Ausnahme des belgischen Pokals alle 20, 25 Jahre.
Im Frühsommer 2015 änderte sich dieses Bild grundlegend. Die Blau-Weißen fingen in den Playoffs die Favoriten aus Brügge ab, nach 115 Jahren war KAA Gent plötzlich Meister. Als das Team zur Bootsparade antrat, säumten 125.000 Feierwütige die pittoresken Kanäle der Innenstadt, was die größte Meisterparty der belgischen Geschichte bedeutete. Feiern, das können sie hier. Nicht umsonst verwandeln die Gentse Feesten die Stadt jedes Jahr in einen zehntägigen Vollrausch – bezeichnenderweise in der Sommerpause.
Inzwischen kommen sie bei La Gantoise, so der alte französische Name des Klubs, aus dem Feiern gar nicht mehr heraus. Nach verhaltenem Saisonstart und einer imposanten Leistungssteigerung im Herbst dominiert man die belgische Jupiler League gemeinsam mit den Rivalen aus dem nahen Brügge, und obleich der Titel als Triumph eines starken Kollektivs galt, wurde Kapitän und Mittelfeldlenker Sven Kums zuletzt mit dem Goldenen Schuh als bester Spieler des Jahres ausgezeichnet.
Zuschauerschnitt von 8.000 auf 20.000 angehoben
Größte Bewunderung heimsten sie jedoch mit ihren Champions-League-Auftritten ein: Nach einem Remis und zwei knappen Niederlagen brachten drei Siege gegen die namhaften Kontrahenten aus Valencia, Lyon und Sankt Petersburg die Qualifikation fürs Achtelfinale.
Dabei entwickelte das Team eine erstaunliche Kontinuität. Die jüngsten Erfolge können kaum mehr überraschen. Wenn nun heute der VfL Wolfsburg (20.45 Uhr/ZDF) in der Ghelamco Arena antritt, ist das allenfalls auf dem Papier eine klare Sache. Mehr als 190 Millionen Marktwert treffen auf knapp 67 – in Gent zuckt man darüber höchstens die Schultern.
Diese Selbstsicherheit zeugt von einem Erfolg, der alles andere als Zufall ist. Als seine Väter gelten Coach Hein Vanhaezebrouck und der Vorsitzende Ivan De Witte. Beim Einstieg des Unternehmers 1999 ächzte der Club unter einer Schuldenlast von 23 Millionen. Anderthalb Jahrzehnte später waren die nicht nur ab-, sondern mit Hilfe von Stadt und Hauptsponsor auch ein neues Stadion erbaut, das den Zuschauerschnitt von 8.000 auf 20.000 anhob. Nach dem Titel kündigte De Witte trocken an, sich dauerhaft im Segment der „Großen Drei“ (Anderlecht, Brügge, Lüttich) einzunisten. Die Präzision, mit die KAA Kurs hält, wirkt fast unheimlich.
Das Logo besteht aus einem Indianerkopf
Eigentlich könnte die Stimmung kaum besser sein bei den Buffalos, deren Spitzname auf den legendären Zirkus von Buffalo Bill zurückgeht, der vor rund hundert Jahren in der Nähe des damaligen Stadions gastierte. Das Logo besteht folglich aus einem Indianerkopf mit üppigem Federschmuck, das Stadionmagazin heißt Wigwam.
Neben Kapitän Kums, dem durchsetzungstarken Stürmer Laurent Depoitre und seinen Adjutanten auf den Flügeln, Danijel Milicevic und Moses Simons, haben die Buffalos eine neue Attraktion: Mbark Boussoufa, die kleine niederländische Mittelfeld-Diva, die einst von hier aus die Fußballwelt erobern wollte, ist seit wenigen Wochen zurück von seinem russischen Abenteuer. Gegen Wolfsburg hat Vanhaezebrouck ihn allerdings noch nicht nominiert.
Lediglich die beiden 0:1-Niederlagen gegen den FC Brügge innerhalb von fünf Tagen, einmal in der Meisterschaft, einmal im Pokal, trübten zuletzt die gute Stimmung. Nun, und mit der Reaktion einiger Anhänger war man bei KAA auch nicht sonderlich glücklich: die fuhren die paar Kilometer ins Stadion des Kontrahenten, der nun nicht länger ein geografischer, sondern auch ein sportlicher ist, beschmierten die Stadionwände und färbten die Torpfosten blau.
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