: Justizskandal in Genf
Junger Deutscher seit 19 Tagen in Haft wegen angeblichen Betrugs mit 70 Milliarden Rubel/ Anwälte: „Illegal“ und „absurd“ ■ Aus Genf Andreas Zumach
„Eine Justiz wie in einer Bananenrepublik“ bescheinigte ein Schweizer Journalist seinem Heimatland und insbesondere dem Kanton Genf kürzlich bei einer Podiumsdiskussion. „Das ist eine Beleidigung existierender Bananenrepubliken“ reagierte der — inzwischen in Genf stationierte — langjährige Lateinamerikakorrespondent einer großen ausländischen Fernsehgesellschaft.
Die Justizbehörden der UNO- Stadt sind derzeit wieder kräftig dabei, ihren einschlägig schlechten Ruf zu untermauern. Anders als bei der bereits ins dritte Jahr verschleppten Untersuchung des Todesfalls Barschel geht es im jüngsten Skandal jedoch um einen Lebenden, den 21jährigen Bankkaufmann Robert S. aus Nordrhein-Westfalen. Bereits seit dem 21. Dezember sitzt er in der Einzelzelle des Gefängnisses Champ Dollon. Vorgeworfen wird ihm versuchter Betrug mit 70 Milliarden sowjetischer Rubel. Die Inhaftierung des Deutschen sei „völlig illegal“ und entbehre jeglicher Rechtsgrundlage, erklären seine Genfer Anwälte Pascal Maurer und Sharam Dini. Die Staatsanwaltschaft habe nichts in der Hand. Als „absurd“ bezeichnet der deutsche Anwalt von S., Heinz Metz, das Vorgehen der Genfer Justiz. Doch trotz intensiver Bemühungen seiner Anwälte kam S. auch beim zweiten Haftprüfungstermin Anfang dieser Woche nicht frei.
Mitte Dezember hatte die russische Nationalbank bis zu 70 Milliarden Rubel zum Kauf angeboten. Der Makler der russischen Bank, ein 53jähriger Niederländer, fand über den deutschen Devisenhändler Andreas Behrens potentielle Käufer — drei Argentinier, die bereit waren, drei Milliarden US-Dollar für die Rubel zu bezahlen. Im Auftrag von Behrens, für den er seit Oktober arbeitet, traf S. zusammen mit dem niederländischen Makler die argentinischen Interessenten am 21. Dezember in einem Genfer Hotel. Die — völlig legale — Transaktion von Rubel in Dollar mußte jedoch auf Anfang 1991 verschoben werden, weil die französische Banque National de Paris, bei der die drei Milliarden Dollar Kaufsumme deponiert waren, ihre Bücher für 1990 bereits geschlossen hatte. Doch wurde bei dem Treffen eine Vereinbarung unterschrieben, wonach die russische Nationalbank Behrens und dem Niederländer für ihre Vermittlerdienste pro 100 verkaufter Rubel nach Handelsabschluß einen halben US-Dollar zahlt. Kurz danach wurden die Teilnehmer des Treffens verhaftet — S. am Genfer Flughafen, von wo er zurück nach Düsseldorf fliegen wollte. Nach Intervention ihres Genfer Konsulats wurden die drei Argentinier freigelassen. S. und der Niederländer blieben unter dem Vorwurf der Ermittlungsbehörden in Haft, in betrügerischer Absicht gehandelt zu haben, da die Rubel in Genf nicht vorhanden seien. Tatsächlich sitzen die beiden jedoch sozusagen als Geiseln im Gefängnis: die Genfer Justiz vermutet, daß bei dem beabsichtigten Devisenhandel Drogengeld gewaschen werden soll. Der Name von S.' Arbeitgeber Behrens ist angeblich bei Ermittlungen in entsprechenden Fällen aufgetaucht.
Die Behandlung von S. seit seiner Festnahme spottet jeder Beschreibung. Beim ersten, gerade eine Minute währenden Haftprüfungstermin an Heiligabend wies Untersuchungsrichter Trembley seinen Wunsch nach einem Anwalt zurück, ordnete eine bis zu dreimonatige U-Haft an und fuhr bis Anfang dieser Woche in Urlaub. Seinen Eltern durfte S. am 21. Dezember lediglich telefonisch die Tatsache seiner Festnahme ohne Nennung einer Begründung sowie den Wunsch nach einem Anwalt übermitteln. Von der Festsetzung der dreimonatigen U-Haft erfuhren die Eltern durch Journalisten, die bei dem Haftprüfungstermin zugegen waren. Ihre Bitte auf umgehende Besuchserlaubnis wurde verwehrt. Sie durften ihren Sohn erst am vergangenen Freitag — zwei Wochen nach der Festnahme — für eine Stunde sehen. S. wurde bislang zumeist in Einzelhaft gehalten und bei Haftprüfungsterminen mit Handschellen an den Heizkörper des Gerichtsgebäudes gekettet. Seinen Koffer mit frischen Kleidern beschlagnahmte die Polizei bei seiner Festnahme. Beim Besuch seiner Eltern trug er bereits 16 Tage lang dieselben Klamotten. Dem ebenfalls noch einsitzenden Niederländer erging es ähnlich. Einen Besuchsantrag des niederländischen Konsuls in Genf lehnten die Behörden ebenfalls ab. Der Konsul erschien daraufhin im Gefängnis und bestand — schließlich mit Erfolg — darauf, den inhaftierten Devisenmakler zu sehen. Die niederländische Regierung wird eine offizielle Beschwerde in Bern einlegen. Beim zweiten Haftprüfungstermin Anfang dieser Woche wies der frisch aus dem Urlaub zurückgekehrte Untersuchungsrichter Trembley den Antrag der Anwälte auf Haftentlassung der beiden zurück mit der Begründung, er müsse zunächst gründlich die Akten studieren.
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