: Justiz und Virus
■ Zur strafrechtlichen Verfolgung einer Körperverletzung durch Beischlaf
Ein Opfer schafft ein neues Opfer. Ist es durch das eigene Leiden frei von jeder Verantwortung? Der Liebende zieht während der Umarmung das Stilett. Triebdruck, Lustgewinn, später Reue, dann Tatwiederholung. Dieser Tod käme sofort und nicht schleichend wie bei AIDS. Der Fall wäre justiziabel. 200 km/h Dichtes Auffahren. Unfalltod des anderen Verkehrsteilnehmers: Fahrlässige Tötung. Auch dies ein klarer Fall. Gesellschaftlicher Verantwortungskodex manifestiert sich auch in juristischen Regeln und Gesetzen. Warum soll AIDS da herausfallen? Die Bereitschaft zur Infektion eines Ahnungslosen mit einem Virus, von dem heute niemand sagen kann, ob er nicht immer tödlich enden wird, ist kein Kavaliersdelikt. Selbstverständlich trägt der Gesunde seinen erheblichen Teil an der Verantwortung, wenn er sich nicht schützt. Aber wollen wir nur noch eine Gesellschaft im Kettenhemd, in der jeder dem anderen mißtrauen muß? Sollen Kondome Offenheit ersetzen? Wird Sexualität grundsätzlich angstbesetzt mit Restrisikobereitschaft? Selbstverständlich hat derjenige, der um eine Infektion weiß, die moralische Pflicht, den anderen davon in Kenntnis zu setzen, auch wenn er dadurch Liebesentzug fürchten muß. Weil der andere auch das Recht hat, sich ihm zu entziehen. Auch Sexualität muß vor Gerichten verhandelt werden können, wie z.B. Vergewaltigung in der Ehe. Zu diskutieren ist, ob das juristische Instrumentarium die komplexe Problematik, die durch AIDS gegeben ist, erfaßt. Fatal wäre auch, wenn Verurteilungen einen Schutz vorgaukeln, den es nicht gibt. Aber die strafrechtliche Verfolgung darf kein Tabu sein. Wer jetzt grundsätzlich Schweigen über diese Fragen legt, mit dem stehenden Schwanz das Aussetzen des Kopfes entschuldigt und die Verantwortungslosigkeit übersieht, der leistet der Verteidigung der persönlichen Rechte einen schlechten Dienst und der Forderung von Zwangsuntersuchungen, Meldepflicht und Tätowierungen Infizierter Vorschub. Er läßt mit jedem Toten einen weiteren Gauweiler aufstehen. Kuno Kruse
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