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Justiz in EstlandLetztes Holocaust-Verfahren eingestellt

Mikhail Gorshkows Name steht auf der Liste der Anführer der "Umsiedlung" der Stadt Sluzk. Bei ihr starben 3.000 Juden. Ein Verfahren gegen ihn wird es nicht geben.

In Estland ist lokalen Holocaust-Tätern nie der Prozess gemacht worden. Holocaust-Mahnmal in Berlin. Bild: läns / photocase.com

STOCKHOLM taz | "Am 8. und 9. Februar 1943 wird in der Stadt Sluzk von dem hiesigen Kommando die Umsiedlung der dortigen Juden vorgenommen. An der Aktion nehmen die unten namentlich aufgeführten Angehörigen des Kommandos (…) teil." So beginnt ein "Kommandobefehl" der deutschen "Sicherheitspolizei" im besetzten weißrussischen Minsk vom 5. Februar 1943.

Diesem folgte drei Tage später die angekündigte "Umsiedlung" - eine Umschreibung für das Niederbrennen des nahe Sluzk gelegenen Ghettos. Dabei wurden 3.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder erschossen oder bei lebendigem Leibe verbrannt. Unter den "namentlich aufgeführten" Kommandoangehörigen war Mikhail Gorshkow.

Gegen ihn wird es kein Strafverfahren im Zusammenhang mit diesem Massenmord geben, teilte in der vergangenen Woche die Staatsanwaltschaft in Estlands Hauptstadt Tallinn mit. Es gebe keine hinreichende Sicherheit dafür, dass der 1923 in Estland geborene Mikhail Gorshkow und der der Mittäterschaft am Verbrechen in Sluzk verdächtige "Gorshkow" ein und dieselbe Person seien.

Gorshkow war nach dem Krieg in einem Gefangenenlager der Alliierten in Süddeutschland gelandet und nach dem Entnazifizierungsverfahren in die USA ausgewandert. Er wurde US-Staatsbürger und lebte bis 2002 in Florida. Als Informationen über seine Beteiligung am Massaker von Sluzk aufkamen, erkannte das US-Justizministerium ihm die US-Staatsbürgerschaft ab und kündigte seine Ausweisung nach Estland zur dortigen Strafverfolgung an.

"Völliges Versagen"

Gorshkow reiste freiwillig nach Estland aus, bevor ein formaler Beschluss ergehen konnte. Dass er derjenige Gorshkow sei, den das Simon-Wiesenthal-Zentrum auf seiner Liste der zehn meistgesuchten Holocaust-Verbrecher führte, bestritt er seinerzeit nicht.

Die jetzige Entscheidung der estnischen Staatsanwaltschaft kritisiert Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum als "typisch für das völlige Versagen der estnischen Behörden seit 1991, lokale Holocaust-Täter für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen".

Tatsächlich ist in allen entsprechenden NS-Verfahren Verdächtigen in Estland nie der Prozess gemacht worden. Ein Auslieferungsbegehren gegen den auf Island lebenden Vizechef der Sicherheitspolizei von Tartu, Evald Mikson, war so lange verzögert worden, bis dieser 1993 starb. Nach seinem Tod konstatierte eine estnische Historikerkommission, dass er Kriegsverbrechen schuldig war.

Auch ein Verfahren gegen den Polizeioffizier Harry Mannil wegen der Deportation von Juden und Kommunisten 1941 und 1942 wurde nach fünfjährigen Ermittlungen 2006 "mangels Beweisen" eingestellt. Er starb 2010.

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5 Kommentare

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  • F
    falter

    @ilmtalkelly

     

    Solche Verbrechen sind verjährt.

     

    siehe:

    http://en.wikipedia.org/wiki/Solomon_Morel

  • HW
    Herrn Wolff, dem Autor

    "Als Informationen über seine Beteiligung am Massaker von Sluzk aufkamen, erkannte das US-Justizministerium ihm die US-Staatsbürgerschaft ab und kündigte seine Ausweisung nach Estland zur dortigen Strafverfolgung an."

    Hier stimmt etwas nicht. Warum haben die USA einen vermutlichen Kriegsverbrecher nicht selbst verurteilt, sondern ausgewiesen, und noch ohne Handschellen? Und warum hat Herr Zuroff die USA nicht daran beschuldigt, dass sie einen Naziverbrecher ohne weiteres haben gehen lassen?

  • I
    ilmtalkelly

    @ sigibold

     

    "Das hat nicht mehr mit Recht zu tun neunzigjährige vors Gericht zu zerren"

     

    Es hat nichts mit recht zu tun, Menschen bestialisch zu ermorden. Sie wären gerne über 90 geworden. Das gealterte Kriegsverbrecher auch noch eine Verurteilung

    erhalten sollten, zeigt die absolute Verdrängung ihrer Tat. Der Schuldspruch ist im Interesse der ganzen Gesellschaft und in Bezug auf eine drohende Wiederholung durch andere "Jugendliche" unabdingbar. Lieber Sigibold, vergessen Sie bitte nicht die Signalwirkung einer rechtlichen Aufarbeitung.Was wäre wohl, wenn ein Jude deutsche Männer Frauen und Kinder bestialisch ermorden ließ?

    Würden sie dem zu Lebzeiten auch noch vergeben.

     

    Schwamm drüber ist die nächste teuflische Saat.

  • S
    sigibold

    Als in den sechziger Haren die Verjährungsfrist für Mord in Deutschland wegen der Verbrechen im tausendjährigen Reich zunächst geschoben und dann ganz aufgehoben wurde, konnte ich das noch gut nachvollziehen. Zu viel war noch nicht bearbeitet und aufgeklärt. Auch die Verjährungsfrist von 20 Jahren für Mord, die gab es damals, war etwas zu kurz geraten.

    Aber heute, mehr als 66 Jahre nach Kriegsende darf der Eifer doch wohl erlahmen. Das hat nicht mehr mit Recht zu tun neunzigjährige vors Gericht zu zerren, die damals schreckliche Verbrechen als quasi noch Jugendliche begangen haben. Die Hauptverantwortlichen sind ja längst alle in der Vorhölle.

    Die taz plustert sich da moralisch für meinen Geschmack etwas zu sehr auf. Irgendwann muss auch mal Schluß sein sechsundsechsig Jahre nach Kriegsende.

     

     

     

    sigibold

  • B
    Benz

    In Estland haben Nazi-Schergen nichts zu befürchten- ist ja auch kein Wunder: Seit 1991 sind in Estland rückwärtsgewandte Nationalisten an der Macht, werden Märsche von SS-Veteranen und Skinheads durchgeführt, gelten Rassentrennung und Apartheidsgesetze.

     

    Leute wie dieser Nazi-Gehilfe können auf grosse Sympathien in der neuen estnischen Elite zählen.