: Justiz im Olympiarausch
■ Mehrere hundert Verfahren gegen Olympiagegner werden weiter verfolgt / Polizei unterschlägt Entlastungsmaterial
Auch wenn die Olympiabewerbung längst abgehakt ist, ermitteln die Strafverfolger in Sachen Olympia munter weiter. Wie viele Verfahren gegen Olympiagegner noch anhängig und wie viele abgeschlossen sind, kann freilich niemand so genau sagen.
Justizpressesprecherin Uta Fölster verweist auf die Zuständigkeit der einzelnen Abteilungen der Staatsanwaltschaft und die Polizei auf die inzwischen „so gut wie aufgelöste“ Sonderkommission Olympia. Außerdem, so Polizeisprecher Detlef Kaiser, sei mit der Übergabe der Ermittlungsakten an die Staatsanwaltschaft für die Polizei die Angelegenheit erledigt. Bei der Polizei selbst seien noch 22 Verfahren anhängig.
Daß es sich insgesamt um mehrere hundert eingeleitete Verfahren in Sachen Olympia handelt, bestätigte der Chef der für politische Straftaten zuständigen Abteilung 81 der Staatsanwaltschaft, Carlo Weber, der taz. Erstaunt zeigte sich Staatsanwalt Weber darüber, daß die meisten der Akten auf seinem Schreibtisch gelandet seien, obwohl seine Abteilung nicht zwangsläüfig für Olympiaverfahren zuständig sei.
Allein drei Verfahren gegen Olympiagegner wegen Hehlerei betreut zur Zeit Rechtsanwalt Volker Ratzmann. Anlaß: Die Festnahme zweier NOlympics bei der offiziellen Präsentation der Bewerbungsschrift in Lausanne. Den Beschuldigten wird nun der unerlaubte Besitz der gelben offiziellen Fahnen der Olympia GmbH vorgeworfen.
Im dritten Fall, dem der grünen Olympiagegnerin Judith Demba, bezieht sich der Vorwurf der Hehlerei auf die Eröffnung des Anti- Olympischen Museums im Haus der Demokratie. Dort wurde unter anderem die Carl-Diem-Gedächtnistafel ausgestellt, die im letzten Jahr von einem „Kommando Lutz Grüttke“ am Olympiastadion entwendet wurde. Ermittelt wird gegen Demba auch noch im Zusammenhang mit dem umstrittenen Anti-Olympia-Video der Anti- Olympia-Koordination.
Die Ermittlungsverfahren in Folge der Durchsuchung der Schreinerstraße 47 in Friedrichshain wegen eines antiolympischen Transparentes sind dagegen eingestellt worden. Die drei Strausberger, die Steine auf eine Filiale der „Berliner Bank“ geworfen hätten, sind inzwischen rechtskräftig verurteilt worden.
Daß es bei der Polizei in Sachen Olympiagegner nicht immer mit rechten Dingen zugeht, beweist auch der Fall von Christof S. Weil er in der Berliner Zeitung kurz vor der Entscheidung in Monaco mit den Worten zitiert wurde, Anschläge seien integraler Bestandteil der NOlympic-Bewegung, eröffnete die Polizei ein Verfahren wegen „Belohnung und Billigung von Straftaten“ und gab die Akte an die Staatsanwaltschaft weiter.
Was die Polizei verschwieg: Bereits einen Tag nach dem angeblichen Zitat korrigierte die Berliner Zeitung ihre Darstellung: Nicht S. habe über die Anschläge gesprochen, sondern ein anderer Olympiagegner. Darüber wurde der Staatsanwalt allerdings nicht von der Polizei unterrichtet, sondern von der taz. Das Verfahren gegen S. hatte er aus einem anderen Grunde allerdings bereits eingestellt: Nach der gescheiterten Olympiabewerbung, so der Rechtshüter, bestehe kein offizielles Interesse mehr an der Verfolgung dieses Falles. Uwe Rada
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