Jury, Selbstkritik etc.: Alte Meister
■ Morgen beginnt das Berliner Theatertreffen
Ein Blick zurück in Klarheit. Besser: Abgeklärtheit. Michael Merschmeier, der Sprecher der Jury des Berliner Theatertreffens in den letzten drei Jahren, resümiert zum Ende seiner Amtszeit in seinem Hausblatt Theater heute: Mittelmaß sei von einer mit fünf Personen zu kleinen, zudem überalterten Kritikerjury immer wieder schöngeschrieben worden. Theaterformen wie Tanz und Performance wären unterrepräsentiert gewesen. Und nie sei das Theatertreffen „ein Fest für die spröde Theaterstadt Berlin“ gewesen, weswegen er rät, es zukünftig in anderen Städten stattfinden zu lassen.
Ulrich Eckhardt, der Leiter der Berliner Festspiele (auf dessen 25jähriges Dienstjubiläum Merschmeier extra hinweist), distanzierte sich bei der Pressekonferenz zum diesjährigen Theatertreffen von einer weiteren These des scheidenden Abtrünnigen: Keineswegs sei die 1964 gegründete Veranstaltung ein Kind des Kalten Krieges gewesen, eine Reaktion auf den Mauerbau. Vielmehr sei das Treffen deutschsprachiger Bühnen Ausdruck des Kulturföderalismus. Was ja zusätzlich für eine Rotation spräche.
Aber dazu wird es nicht kommen. Jetzt, da das Theatertreffen in Berlin in seine frühere Heimat zurückgekehrt ist, in das Theater der Freien Volksbühne, wird erst recht alles bleiben, wie es ist. Zumal die Jury nach einer Strukturreform des Theatertreffens neuerdings alle drei Jahre völlig ausgewechselt wird – von der Leitung der Berliner Festspiele übrigens, die damit von einer Realisierungsinstanz zur Zentrale einer gewissen Macht geworden ist. Und wie viele Vorteile es auch haben mag, eine Jury personell komplett zu erneuern, ein Nachteil ist sicher, daß alle drei Jahre wieder bei Null begonnen werden muß.
Zum Thema Altersstruktur nur soviel: In der neuen Kritikerjury, die seit Februar amtiert, ist der Magdeburger Friedemann Krusche mit 39 Jahren der Jüngste, Peter Iden von der Frankfurter Rundschau mit 60 der Älteste. Außerdem dabei sind Benjamin Henrichs (ab Herbst Feuilletonist der Süddeutschen Zeitung), Ulrike Kahle und Christine Richards (Basler Zeitung).
Gemessen an ihrer selbst eingestandenen Vergreisung hat sich die für dieses Jahr noch verantwortliche Jury in zumindest einer Hinsicht aufs schönste diszipliniert. Der 44jährige Youngster Merschmeier, Christoph Funke, Gerhard Jörder, Sigrid Löffler und sogar Renate Klett konnten sich auf eine doppelte Einladung Einar Schleefs (mit Oscar Wildes „Salome“ aus Düsseldorf und mit Elfriede Jelineks „Sportstück“ aus Wien) einigen, wozu man wissen muß, daß Renate Klett bislang eine erklärte Feindin der angeblichen „Wehrsportgruppe Schleef“ gewesen ist.
Um ein Gastspiel der Sprachoper „Sportstück“ wie Christoph Marthalers Oper „The Unanswered Question“ aus Basel bezahlen zu können, wird sogar ein Opfer gebracht: Das traditionelle Spiegelzelt bleibt im Schrank, gefeiert wird weniger stimmungsvoll, aber kostengünstig im Foyer der Freien Volksbühne.
Zu den insgesamt neun eingeladenen Inszenierungen gehören außerdem Mark Ravenhills „Shoppen & Ficken“ und David Harrowers „Messer in Hennen“ unter der Regie von Thomas Ostermeier aus Berlin, Ibsens „Ein Volksfeind“ in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg aus Hannover, Jelineks „Stecken, Stab und Stangl“, inszeniert von Kazuko Watanabe aus Leipzig, Becketts „Endspiel“ (Fin de Partie) unter der Regie von George Tabori aus Wien und Bernhards „Alte Meister“ in der Inszenierung von Christof Nel aus Hamburg.
Viel Zeitgenössisches, gleichwohl konventionell Schauspielkonzentriertes, das bis 21. Mai insgesamt 36mal zu sehen sein wird, was schön ist für die Berliner, aber auch für Sie draußen im Lande, denn 3sat zeichnet sechs Arbeiten auf und sendet sie teilweise sogar live (check your local Programmzeitschrift). Petra Kohse
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