Jurist über Roman von Takis Würger: „Sie war ja Opfer und Monster“
Der Roman „Stella“ sorgt weiter für Ärger. Die Erben von Stella Goldschlag wollen juristisch gegen die Verbreitung vorgehen. Deren Anwalt Karl Alich erklärt, warum.
taz: Herr Alich, fordern Sie tatsächlich ein Verbot des Romans „Stella“ von Takis Würger?
Karl Alich: Es besteht Interesse an einer historisch korrekten Darstellung von Stella Goldschlag. Der Roman hat verschiedene Ebenen. Auf einer von ihnen werden die Akten eines sowjetischen Militärtribunals gegen Stella Goldschlag zitiert. Wir wollen, dass diese Teile geschwärzt werden.
Warum?
Es handelt sich um Denunziationsfälle gegen Stella Goldschlag. Diese Feststellungen werden unkommentiert in das Buch gestellt. Das ist persönlichkeitsrechtlich nicht machbar. Es gibt keine Erklärungen und keine Hintergründe dieser Denunziationen. Stella Goldschlag wird hier sehr einseitig dargestellt. Sie war ja Opfer und Monster. Und sie hat einen Anspruch darauf, dass beides dargestellt wird, die Ursache für ihre Handlungen und die Handlungen selbst.
In welchem Auftrag handeln Sie?
Stella Goldschlag hat ihre publizistischen Persönlichkeitsrechte 1990 dem Historiker und Journalisten Ferdinand Kroh abgetreten, als er den Fernsehfilm „Die Greiferin“ über sie drehte. Herr Kroh ist inzwischen verstorben. Die Rechte hat die Witwe geerbt. Mit diesem Hintergrund habe ich am Mittwoch dieser Woche den Verlag per Fax aufgefordert, keine weiteren Exemplare von „Stella“ zu vertreiben, die die Zitate des Militärtribunals enthalten.
Was geschieht, wenn Hanser das dennoch tut?
Das wird man sehen. Kommt auch darauf an, wie der Verlag jetzt reagiert. Wir haben jedenfalls kein Interesse daran, das zu einem juristischen Skandal werden zu lassen. Das Thema ist dazu zu wichtig, für uns Deutsche insgesamt.
Ist es nicht fragwürdig, dass man über den Tod hinaus die Rechte an seiner eigenen Geschichte haben soll?
Das postmortale Persönlichkeitsrecht ist juristisch anerkannt, aber die Beurteilung in verschiedenen Gerichtsverfahren ist sehr unterschiedlich, das mag sein.
Berliner Rechtsanwalt, 1948 geboren. Der Familie der Rechteinhaberin Stella Goldschlags ist er seit Jahren freundschaftlich verbunden.
War man nicht zum Beispiel sehr froh, als Klaus Manns Roman „Mephisto“ um die historische Figur von Gustaf Gründgens endlich erscheinen konnte?
„Mephisto“ wurde vom Bundesverfassungsgericht als Schmähschrift eingeschätzt. Das ist ein weites Feld. Der Fall „Stella“ liegt anders. Die zentrale Figur wird hier beurteilt nach Feststellung eines sowjetischen Militärtribunals. Das ist unseres Erachtens nicht statthaft. Wenn man jemand nach einem Gerichtsverfahren beurteilt, dann muss das ein rechtsstaatlich sauberes Verfahren sein. Und die Verfahren vor sowjetischen Militärtribunalen waren das nicht. Die dauerten fünf Minuten, die Geständnisse waren erpresst. Selbst Stella Goldschlag hatte so ein Verfahren nicht verdient.
Es gab ein weiteres Verfahren, 1957 in Westberlin.
Ja. Gegen das Urteil haben sowohl Stella Goldschlag als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben, es ist also nicht rechtskräftig. Allerdings gibt es dieses nicht rechtskräftige Urteil, und in ihm werden die Fälle beschrieben, und es beschreibt auch die Ursachen von Stella Goldschlags Handlungen. Ein Autor hätte es also möglicherweise auch als Dokument in einem Roman verwenden können. Allerdings kannte es Takis Würger offenbar nicht.
Wie hoch hängen Sie die Freiheit der Kunst?
Ganz hoch. Sie ist ein unverzichtbares Gut. Aber es muss dann auch bei der Kunst bleiben. Wenn man die literarische Kunst verquickt mit Tatsachenbehauptungen, dann müssen die Behauptungen belastbar sein. Das ist der Schwachpunkt des Buches. Die Protokolle des Militärtribunals sind ohne Zusammenhang, ohne Erklärungen einfach hineingeklatscht worden. Und das verletzt meiner Erachtens das Persönlichkeitsrecht. Wenn Takis Würger sich damit auseinandergesetzt hätte oder auch dargestellt hätte, was Stella Goldschlag gesagt hat, das wäre etwas anderes gewesen. Es gibt aber nur eine Stelle, in der sie zur Schuldfrage Stellung nimmt, auf Seite 210, in ihr wird ausgedrückt, sie sei sich keiner Schuld bewusst gewesen.
Der Roman enthält eine Folterszene, in der ihre Bedrängnis und das Erpresste ihrer Handlung deutlich werden soll. Wie bewerten Sie diese Szene?
Sie ist im Wesentlichen auch nur reingesprenkelt. Die dauernde Wirkung der Folter und ihre Belastungen werden nicht dargestellt, vielleicht lassen sie sich auch gar nicht darstellen. Dafür findet der Roman aber keine Ebene. Nehmen Sie nur die Stelle, in der von Striemen im Gesicht die Rede ist. Das ist doch lächerlich. In den Kellern der Gestapo wurden Menschen kaputt gemacht. Und, so wie ich die Sache einschätze, ist Stella da als Mensch kaputt gemacht worden.
Micha Brumlik hat in der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ Ihre Aufforderung an Hanser publik gemacht. Er schreibt von der „entwürdigenden Ausbeutung und Verhöhnung eines NS-Opfers“. War Stella Goldschlag tatsächlich ein Opfer?
Anfangs. Sie wurde denunziert, ist mit ihren Eltern einige Wochen auf der Flucht gewesen, kennt also auch diese Seite. Stella Goldschlag ist in den Kellern der Gestapo nicht einfach geschlagen worden, sie ist da als menschliche Hülle wieder herausgekommen. Sie hat keine Empfindung mehr gehabt. Und dann wurde aus dem Opfer ein Monster.
Und das finden Sie in dem Roman nicht wieder?
Überhaupt nicht.
Nun steht das Buch auf der Bestsellerliste, und fast jeden Abend gibt es eine Lesung des Autors.
Der Profit, den der Hanser Verlag mit dem Buch macht, sei ihm gegönnt. Aber nicht, indem Stella Goldschlag zur Figur einer Seifenoper gemacht wird. Sie hat ein Anspruch darauf, dass sie korrekt dargestellt wird. Ihre ganze Generation hat es. Wir hoffen auf die Selbstreinigungskräfte im Hanser Verlag. Dass sie sich zur historischen Verantwortung bekennen.
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