piwik no script img

Jurassic Rock

Alt, aber auratisch: Mit dem einstigen Dinosaur-Jr.-Sänger J. Mascis kehrt ein Grunge-Urvater zurück und klingt dabei weder innovativ noch neutönerisch oder sogar vertrackt. Anachronistisch, aber toll!

von ANDREAS HARTMANN

Ein Mann und seine Gitarre, das ist heute beinahe ausgestorben – außer vielleicht beim Kirchentag oder einem Bob-Dylan-Konzert. Inzwischen ist in der Popmusik eher die Rede von Nullen und Einsen. Doch genau in diese Zeit fällt die neue Platte von J. Mascis, „More Light“, und sein Auftritt beim Eröffnungskonzert der PopKomm. in Köln. Es war bezeichnend: Da saß er, eingekeilt im Programm zwischen dem Süßpop von St. Etienne und den HipHop-Headlinern 5 Sterne De Luxe, in der riesigen Halle des E-Werks einfach so auf der Bühne, allein mit seiner Elektrischen in der Hand, und schien alles um sich herum zu vergessen, als würde er vor einem knisternden Lagerfeuer aufspielen. Es war ein Bruch mit allen Konventionen – und er zog die ganze Halle in seinen Bann: als Einziger besaß J. Mascis an diesem Abend die nötige Aura, ein ruhender Pol im arg disparaten Programm zu sein. Alt sah er trotzdem aus. Wie einer, der schon alles hinter sich hat. Und so schien es ja auch.

J. Mascis wurde zum Helden, weil seine Art, Gitarre zu spielen, Legionen von Bands beeinflusste. Ende der Achtziger nahm er als Kopf von Dinosaur Jr. zumindest zwei unsterbliche Platten auf: „You’re living all over me“ und „Bug“. Auf diese Mischung aus Feedback-Gegurgel, verzerrten Soli und Melodie konnte später keine Grunge-Band verzichten. Überhaupt Grunge: Ohne Dinosaur Jr. wäre das, was da Ende der Neunziger in Seattle explodierte, wohl anders verlaufen. Die Verbindung Gitarrenbrett, Crazy-Horse-Rock, Karohemden und Slackertum, mit der eine Band wie Nirvana später gigantomanischen Erfolg haben sollte, fand bei Dinosaur Jr. erstmalig prototypisch statt. An die Charts dachte damals noch niemand, weil zu dieser Zeit noch völlig unmöglich schien, sich mit Independent-Rock ins MTV spielen zu können. Die Band brachte ihre Platten auf den damals schwer angesagten Labels Homestead und SST heraus, die als einzig wahre Rettung gegen die herrschende Major-Tyrannei gefeiert wurden. Heute sieht man das alles ein wenig nüchterner. Die kleinen Labels haben ihre Bands nicht weniger ausgebeutet als die großen, und weil SST zwar tolle Platten herausbrachte, seine Bands aber nur widerwillig bezahlte, fand der Indie-Traum schnell sein Ende. Ernüchtert ließen sich die Bands gleich scharenweise von den Majors einkaufen – und letztlich, Anfang der Neunziger, auch Dinosaur Jr.

Ein großes Stück von der Grunge-Torte bekamen sie trotzdem nicht ab. Vielleicht lag es daran, dass es ihre Plattenfirma schlicht verpasste, die Band als Grunge-Urväter zu verkaufen. Vielleicht verweigerte sich auch der als extrem kauzig und launisch verschriene J. Mascis zu sehr allen Vermarktungsstrategien. Vielleicht lag es aber auch schlicht daran, dass „Nevermind“ einfach eine bessere Platte war als die letzten von Dinosaur Jr. Die Band brachte immer noch guten Rock zu Stande, doch nie mehr so etwas richtig Erhabenes. Der ehemalige Dinosaur-Jr.-Bassist Lou Barlow wurde mit seiner eigenen Combo Sebadoh erfolgreicher, als Dinosaur Jr. jemals waren. Und von J. Mascis hörte man nur noch, dass er mal wieder lustlos, faul, schlecht drauf oder alles zusammen wäre.

Ganz ist das mit der Lustlosigkeit ja nicht von der Hand zu weisen: Im Interview mit J. Mascis lernt man jedenfalls eher etwas über sich selbst als über den Befragten. Man stellt eine lange Frage und erntet dafür ein „Ja“. Oder ein „Nein“. Oder ein Kopfschütteln. Mehr nicht. J. Mascis hasst Interviews nicht, sie langweilen ihn bloß. Was eigentlich noch schlimmer ist. Er sagt Dinge wie: „Es ist schwer, über Musik zu reden. Es ist besser, ihr zuzuhören.“ Oder: „Jede meiner Platten reflektiert eine bestimmte Zeit und das, was gerade so passiert in meinem Leben. Die neue Platte reflektiert einfach eine andere Periode aus meinem Leben als die alten. Das ist alles.“

Mit einer Platte wie „More Light“ im Gepäck sind das sehr weise Statements. Die Platte klingt weder innovativ noch neutönerisch noch vertrackt noch hymnisch. Sie klingt wie früher. Und das ist das größtmögliche Kompliment, das man J. Mascis machen kann. Hier hat sich einer freigespielt: Es gab nichts zu verlieren, nur zu gewinnen. Melancholie, Melodien, der Jammer-Gesang klingt immer noch wie damals, und die ganze Palette Gitarrenvergewaltigung besorgt den Rest. Man muss feststellen, dass man von einem Anachronismus wie diesem schwer atavistischen melodiösen Würge-Rock immer noch hingerissen sein kann. Vielleicht ist es das Jurassic-Park-Phänomen. Ein ausgestorben Geglaubter kehrt wieder und man freut sich darüber.

J. Mascis + The Fog: „More Light“(Virgin)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen