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Junge Linkenwähler und TikTokZwischen Brainrot und Hoffnung

Kommentar von Julia Schöpfer

Weil die Linke Tiktok geknackt hat, haben sie viele junge Menschen gewählt. Das liegt auch an der flachen Ansprache – aber vor allem an den Inhalten.

Daumen hoch von Gysi: Hier „verrotten“ Hirne Foto: Jens Gyarmaty

H eidi Reichinnek redet energisch im Bundestag, im Hintergrund läuft Techno-Musik. Aus Jan van Akens Augen schießen Laserstrahlen. Gregor Gysi zeigt sich mit „DJ Gysi“ in schwarzer Sturmhaube und adressiert die Zu­schaue­r:in­nen mit: „Hey, Süßis.“

Dass die Linke bei der Bundestagswahl bei 8,8 Prozent landete, verdankt sie auch ihrem Auftritt auf Social Media und besonders auf Tiktok. In der Altersgruppe der unter 25-Jährigen liegt die Partei mit 25 Prozent komfortabel vor der AfD.

So war die Partei auf Tiktok auch so erfolgreich, weil sie auf Brainrotcontent setzte (Stichwort: Laserblick). Der Begriff Brainrot, auf Deutsch „Gehirnfäule“, beschreibt Inhalte, die durch ihre triviale, abgestumpfte und vor allem dumme Art zu einer vermeintlichen geistigen Verschlechterung einer Person führen. Dieser abgestumpfte Humor ist besonders auf Tiktok beliebt und schafft so in kurzer Zeit viele Klicks.

Aber nicht falsch verstehen: Die Linken-Kampagne auf Tiktok beschränkte sich nicht auf Brainrotcontent. Im Gegenteil. Die Linke setzt in den sozialen Medien auf Inhalt. Sie klärt auf, warum ein Mietendeckel, die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro, die Besteuerung von Superreichen und eine klare Kante gegen rechts so wichtig sind. Sie setzt sich für die sozial Schwächeren ein und kritisiert das Vermögen der Reichen, anstatt diese anzuschmachten, wie es viele andere Parteien tun. Damit kommt sie bei jungen Wäh­le­r:in­nen an.

„Nicht alleine durch Social Media“

Für die Linke ist Tiktok natürlich nicht der einzige Weg, für sich zu werben. Sie hat den richtigen Spagat zwischen Haustürwahlkampf, Demonstrationen und kurze Tiktok-Clips gefunden. Sie setzt auf eine Strategie, die der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje so formuliert: „Ohne Social Media kann man junge Wähler nicht gewinnen, aber man gewinnt sie nicht alleine durch Social Media.“

Die Linke hat als Oppositionspartei die FDP ersetzt. Wo unter der Groko die FDP noch als junge und energische Partei galt, sehen sie die Jugendlichen heute als unrealistisch und lebensfern. Die FDP, als Partei für Reiche, widerspricht den Werten der jungen Generation, die Armut bekämpfen und die Wohlstandskluft mindern will.

Die Partei ist jetzt die laute linke Stimme im rechten Deutschland

Den Tiktok-Algorithmus haben bislang vor allem die Linke und die AfD geknackt. Das schaffen sie auch durch Schwarz-Weiß-Denken und Zuspitzung. Aber die Polarisierung der Linken gibt jungen Menschen wie mir Zuversicht. Es zeigt uns, dass es eine Partei gibt, die sich wirklich für uns interessiert. Sie ignoriert unsere moralischen Vorstellungen nicht wie andere Parteien. Sie belächelt uns nicht als „Besserwisser“, wenn wir für Menschenrechte und Empathie eintreten, sondern zeigt, dass diese Werte in der Politik umsetzbar sind.

Die Partei ist jetzt die laute linke Stimme im rechten Deutschland. Auf den Demos gegen rechts steht sie entschieden an der Seite von vor allem jungen Demonstrierenden. Als CDU-Chef Friedrich Merz gemeinsam mit der AfD abstimmte, stemmte sich die Linke gegen den Rechtsruck, etwa mit Heidi Reichinneks Bundestagsrede, die auf Social Media viral ging. Und sie setzt sich für die Rechte von LGBTQIA+-Personen ein, für Migrant:innen, für Personen, die kaum ihre Mieten zahlen können.

Für mich und meine Freun­d:in­nen und all die anderen jungen Menschen, die jetzt Angst haben. Die Linke zeigt der Jugend, dass noch nicht alles verloren ist. Sie zeigt ihr, dass für ihre Existenz, ihre Sichtbarkeit und ihre Rechte gekämpft wird. Sie gibt Perspektive, gibt Hoffnung.

Und genau deshalb wird sie gewählt.

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8 Kommentare

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  • Wer sich heute als sog. "Boomer" über die Medien(in)kompetenz der jungen Generation ereifert sollte nicht vergessen, dass WIR unsere Kinder erzogen und der Bildungsmisere etc. ausgesetzt haben: Wer hat nochmal die letzten 50 Jahre die verantwortlichen Politiker gewählt, die Prioritäten bestimmt und unseren Kindern den ganzen Schlamassel vor die Füße gekippt? Mehr linke Stimmen bei den jungen als solche für die Rechten machen immerhin ein wenig Hoffnung...

  • Ich glaube eher, dass Mietpreise, Aufrüstung und Lügenwahnsinn anderer Parteien die LINKE sympathisch gemacht haben. Gysi würden sowieso viele wählen.

  • Beschreibt ziemlich genau meine Gefühle bei dieser Wahl.

  • Social Media sind für alle zugänglich. Dort wirksam zu werden, erfordert allerdings sehr aktives Engagement und vor allem interessante Inhalte. Sich nur ein Konto einzurichten und dann langweilige Verlautbarungen zu posten, reicht da nicht.

  • So als alter Boomer der sich von den sog. sozialen Medien bewußt fernhält*, war Tiktok füber mich unrelevant, sondern eher die Reden von Frau Reichinnek auf der Website des Bundestags und das Auftreten der Wahlkampfes der Linken, da hat man den Willen gemerkt zumindest zu versuchen was besser zu machen oder das Schlimmste zu verhindern. Mir ist natürlich klar, daß der Mitwirkungsspielraum gegen Null geht, aber besser als ein "dann lasst uns mal weiter wurschteln".

    *)eher wegen Zeit- und Datendiebstahl, denn wegen Gehirnfäule, die kann man sich z.b. auch durch Konsum der Springerpresse zuziehen.

  • Schön reden in Reinkultur. Reicht es nicht zu schreiben... Wir sind froh dass uns mehr gewählt haben als wir dachten ? Zumal die Linke lediglich auf ihren Durchschnitsswahlwert seid ihrer Gründung gekommen ist.

    Wo ist das Dankeswort an Merz Steilvorlage und an Habeck mit seinen beknackten 10 Punkte Plan, weswegen einige ehemalige SPD& Grünen Wählerinnen zu den Linken gegangen sind ?

    "Die Partei ist jetzt die laute linke Stimme im rechten Deutschland." Nur beim Antisemitismus kommt sie nicht so wirklich aus Quark und bleibt ideologisch lieber im letzten Jahrhundert. Sie toleriert den Antisemitismus in NeuKölln und anderswo, solange er nicht von klassischen Nazis kommt.

    Von Außenpolitische Positionen die vor Wohlfühlpazifismus und moralischen Allgemeinplätzen triefen mal ganz zu schweigen.

    Aber ja schöne Oppositionsromantik betreiben, das bittere Erwachen folgt dann spätestens, wenn die Linke Verantwortung übernehmen muss und nicht nur laut rumtönen kann.

    Einfach mal akzeptieren dass die Welt im Moment ein trostloser Ort ist. Weniger Pathos und Schönmalerei täten manchen gut ... sonst kommt am Ende das bittere Erwachen.

  • "Sie belächelt uns nicht als „Besserwisser“, wenn wir für Menschenrechte und Empathie eintreten, sondern zeigt, dass diese Werte in der Politik umsetzbar sind."



    Ja, genau! Deshalb war doch die Jugend meist links. Zum Glück nun wieder!! Ich (JG 1961) will übrigens immer noch, daß diese Werte umgesetzt werden....

  • Wenn TikTok der Grund für Wahlerfolge ist, läuft etwas furchtbar schlecht, die Bildung.