Jung-Sein ist nie einfach. Kann sein, dass ein möglichst langweiliges Umfeld hilft: Gebremste Rebellion
AM RAND
Klaus Irler
Der in Niendorf aufgewachsene Songschreiber Nils Frevert nennt Niendorf „einen der langweiligsten Stadtteile Hamburgs“. Das kann man nachhören bei einem Konzertmitschnitt auf Youtube. Nun ist es mir, der ich in Niendorf wohne, meistens egal, ob der Stadtteil langweilig ist oder nicht, so lange die U2 Richtung Innenstadt fährt. Aber wie geht es dem Nachwuchs? Was denkt die Jugend über ihr Leben am Stadtrand? Geht’s denen noch gut?
Meine Recherche beginnt bei einem 15. Geburtstag, bei dem ich als alter Sack auch eingeladen war, als Anhängsel nur, aber trotzdem hat mich die Einladung gewundert. Der Geburtstagsjugendliche bekam eine Tom-und-Jerry-DVD-Box geschenkt, was mich noch mehr wunderte, weil es Tom und Jerry auch schon gab, als ich 15 war.
Ich errinnerte mich: Tom war die Katze, die versuchte, die Maus Jerry auf möglichst brutale Art um die Ecke zu bringen. Der Jubilar fragte einen der Gäste: „Und für wen bist Du? Bist Du für Tom oder für Jerry?“ – „Ich bin für Jerry.“ – „Nee“, sagte der Jubilar. „Ich bin für Tom. Weils dann richtig aufs Maul gibt.“
Ein anderes Mal sah ich eine Handvoll Niendorfer Kids mit einem Rollator auf der Skater-Bahn. Als ich die Kids mit dem Rollator dort sah, dachte ich: „Schau an, das Leben am Stadtrand macht kreativ.“ Andererseits: Wo hatten die Jugendlichen den Rollator her? Gab es einen Zusammenhang mit dem Altersheim in der Nähe? Vermisste einer der dortigen Bewohner gerade etwas?
Weil ich diese Frage nicht beantworten konnte, fragte ich mich, was die Kids auf St. Pauli tun, wenn sie rebellieren wollen. Mir fällt da auf Anhieb wenig ein. Sie könnten mit einem Hansa-Rostock-Trikot in die St. Pauli-Fankurve gehen. Oder täglich bei McDonalds im Schanzenviertel essen. Naja. Das ginge beides nur auf die eigene Gesundheit und wäre dem Rest der Welt ziemlich wurscht.
Die Kids aus Pöseldorf könnten immerhin mit ihrem eigenen Porsche, den sie mit 18 zum Führerschein dazu geschenkt bekommen haben, zum Plenum der Roten Flora fahren. Es wäre zwar auch ein Eigentor, wenn die Floristen das mitkriegen, aber vielleicht nervt es ja Papa und Mama zu Hause ein bisschen.
Den Kids aus Eimsbüttel, deren Eltern beide Lehrer sind und sich sehnlichst wünschen, dass ihr Kind kein Lehrer wird, bliebe immerhin, genau das zu tun: Lehrer werden. An Weihnachten fragt dann der Opa: „Und, mein lieber Fridolin, was willst Du später mal machen?“ – „Ich werde Lehrer. Weil ihr alle so scheiße seid.“
Um ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahung, wie es den Jugendlichen am Stadtrand geht. Von Niendorfern der Frevert-Generation, also den heute 50-Jährigen, habe ich mal gehört, dass sie sich früher immer auf einer Wiese im Niendorfer Gehege trafen, um dort das eine oder andere auszuprobieren. Das muss aufregend gewesen sein, bei all der Langeweile außenrum.
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