Julie Delpy's Film "Die Gräfin": Blut ist ein besonderer Saft
Julie Delpy bearbeitet in "Die Gräfin" die blutige Legende der Adeligen Erzebet Bathory.
Das Sein eines Regenwurms lässt sich mit einem beherzten Schnitt durch seine Mitte verdoppeln. Steckt man Blumensamen in die Erde, bricht sich später das zähe Leben mit grünen Blättchen zur Oberfläche durch. Aber der Vogel, den das Mädchen Erzebet Bathory in einem Blumentopf verbuddelt, bleibt auch nach Wochen noch tot. Und als sie den wurmzerfressenen Kadaver stirnrunzelnd hochhält, hat die kleine Erzebet etwas begriffen, was die große Erzebet nicht wahrhaben will. Dass die Mechanik des Lebens vielleicht manipulierbar ist, nicht aber sein innerstes Uhrwerk. Typisch für ihr Zeitalter entdeckt sie den Verfall, die welken Ränder einer Blüte, die überprallen Trauben, den zum Ende hin schneller durchlaufenden Sand der Uhr.
Etwa zeitgleich, wir befinden uns im Ungarn des späten 16. Jahrhunderts, erkennt der englische Arzt William Harvey den Blutkreislauf und die Bedeutung des Herzens als Pumpe. Die bislang gültige Theorie, nach der das Blut neu gebildet und wieder aufgelöst wird, wird hinfällig. Der Anfang der modernen Medizin ist gemacht und im Gemisch mit der Affektenlehre entstehen die abenteuerlichsten Mutmaßungen über die Wechselwirkungen von Körpersäften und anatomischen Gewissheiten.
Wenn Erzebet später als selbstbewusste Witwe und erfolgreiche Geschäftsfrau, bei der sogar das Königreich in der Kreide steht, sich selbst eine Verjüngungskur mit dem Bad im Blut ausgepresster Jungfrauen verordnet, um dem jungen Istvan (Daniel Brühl) zu gefallen, ist sie in gewisser Hinsicht auf der Höhe der Zeit. Nur die Grausamkeit, die sich in ihren Taten spiegelt, ist nicht die einer enthemmten Wissenschaft. Es ist der abgespaltene Hass einer Frau, die allein, stolz und klug, wie sie ist, in der Gesellschaft des Barock nur überleben kann, wenn sie sich als edel, fern, eben nicht ganz da präsentiert. Wenn sie blass und ätherisch in den Blicken verschwindet und ihre Präsenz und Physis für sich behält.
Dass die Zeit keinen Respekt vor ihrer Schönheit zeigt, ihre Privatutopie von jung bleibender, selbstbestimmter Liebe keine Chance hat, das ist Erzebets Tragödie. Das Schöne an "Die Gräfin" mit und von July Delpy ist, dass er all dieses Wissen um das barocke Leiden am Endlichen unaufdringlich mitschwingen lässt. In einem dezenten Helldunkel, einer reduzierten Ausstattung und auch in dem Gesicht seiner Hauptdarstellerin, das zu den widersprüchlichsten Projektionen einlädt. Deswegen ist schade, dass sich der Film dann doch nicht traut, den Wahn seiner Heldin anders zu deuten denn als private Passionsgeschichte. - Die Massenmörderin wird lebendig eingemauert. Leidend, blass, gebrochen. Bereits die kleine Erzebet wusste nach ihren Vogel-Umtopf-Experimenten, was nun mit diesem Körper geschieht.
Auch nach Erzebet Bathorys Tod weiß man nicht, wie viele Morde in ihrem Auftrag geschahen, wie viele fälschlicherweise dazukamen. Da war sie schon längst als Heroine des Grauens eine Legende. "Die Gräfin" verpasst die Chance, Erzebet Bathory ihre Historisierung selbst in die Hände nehmen zu lassen. Dafür ist ihr Leiden zu groß, zu manisch und in der Geschlechterperfomance des Barock zu "weiblich". Und die die Mythenbildung für Erzebet übernommen haben, schaffen ein interessantes, sogar ambivalentes, schwaches, unnachgiebiges, aber eben nur ein weiteres Monster, einen weiteren tiefschwarzen Kontinent.
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