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Archiv-Artikel

Jukebox

Wenn dann erst mal alle Hüllen gefallen sind

Kleider machen Leute. Und sie machen Musik, damit alles seine Ordnung hat. Vollkommen ausgeschlossen zum Beispiel, dass Sie in den nächsten sagen wir mal fünf Jahren im Konzerthaus einen Beethoven hören werden, der in Hawaiihemden gespielt wird. Wahrscheinlich ist es sogar so, dass man Beethoven als Musiker im Hawaiihemd irgendwie anders angeht oder dass er sich irgendwie anders anhört, wenn man als Publikum immer auf so ein Hawaiihemd schauen muss. Aber man braucht sich gar nicht vormachen, dass es abseits des klassischen schwarzen Tuchs sich im Pop um so ein libertäres Freigehege handeln würde, wo jeder machen darf, was er will.

Wie viele Punkmusiker haben ihre Kleidung nicht schon mutwillig zerrupft, um ihre Innung nur ja nicht zu überfordern mit makelfreier Neuware. Punk heißt: löchrige T-Shirts an Iro. Und Grunge heißt: die über dem Knie eingerissene Jeans. Und die Baseballkappe und das Netzshirt und das Nietenarmband in der Musik. Man könnte sagen: Zeig mir deine Socke, und ich sag dir, was du spielst!

Das ist die Kleiderordnung. Ein in Wallegewändern und Jesuslatschen antretender Heavymetal-Musiker, das geht halt einfach nicht. Höchstens, er ist ein finnischer Heavymetal-Musiker, dann muss er das so machen. Etwas weiter im Kostüm gibt es dann die Rubrik Vollverkleidung im Pop, die mit dem Glamrock in den Siebzigern und seiner Liebe zur rollenspielenden Verkleidung zur großen Form auflief. Da hätte man Kiss mit ihren Schminkmasken oder die Wombles mit den Zottelkostümen (unter denen sich etwa Chris Spedding verbarg). Aus den Siebzigern kommen auch die Residents, die es mit ihrer Vollvermummung so konsequent halten, dass man bis heute nicht weiß, wer jetzt unter den Augenköpfen steckt. Vor Kurzem erst bekannten sie, es seien John, Paul, George und Reingold.

So könnte das also aussehen, wenn alle Hüllen gefallen sind: Man ist keinen Schritt weiter und weiß auch nicht mehr. Dass das CJ Boyd Sexxxtet heute Abend im Ausland (Lychener Straße 60, 22 Uhr) seinen Hut vor dem Sexualwissenschaftler Kinsey ziehen will, ist schon deswegen bemerkenswert, weil die Mitglieder des experimentellen Kammerensembles nämlich gar nichts anhaben. Es tritt also nackt auf. Eine Befreiung? Eher eine weitere Zuspitzung, weil es unter der Unterhose nur weitergeht mit der Zurichtung des Körpers.

Obwohl sich Beethoven nackig natürlich bestimmt anders anhören würde. THOMAS MAUCH