piwik no script img

Jugendmedienschutz-Staatsvertrag"Rückfall in die netzpolitische Steinzeit"

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat in seiner letzten Plenarsitzung vor dem Jahreswechsel den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gebilligt. Kritik kommt von Opposition, Linkspartei und Bewegung.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Die Linke hat ihren Koalitionspartner SPD nicht zu einer Ablehnung bewegen können. Bild: dpa

BERLIN dpa | Gegen den Willen der Opposition hat das Berliner Abgeordnetenhaus den umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) gebilligt. Die Regierungsfraktionen SPD und Linke lehnten mit ihrer Mehrheit einen Dringlichkeitsantrag der Grünen ab. Diese wollten die Verabschiedung des 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrages aussetzen, bis eine Enquetekommission des Bundestages bessere Vorschläge für den Kinder- und Jugendschutz im Internet macht.

Die Kultur- und Medienexpertin der Grünen-Fraktion, Alice Ströver, bezeichnete den Vertrag als Drangsalierung der Netzgemeinde. Selbst die Berliner Jusos hätten ihn als "Rückfall in die netzpolitische Steinzeit" kritisiert und die SPD aufgefordert, ihn abzulehnen, sagte Ströver. In namentlicher Abstimmung votierten jedoch 75 der 145 anwesenden Abgeordneten für das Gesetz, 70 dagegen.

Nach der Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages sollen von 2011 an alle Anbieter ihre Websites auf jugendgefährdende Inhalte hin überprüfen und das Angebot entsprechend mit einer Altersfreigabe deklarieren oder die Inhalte nur Nutzern von einem bestimmten Alter zugänglich machen. Der neue JMStV war vom SPD-regierten Bundesland Rheinland-Pfalz erarbeitetet worden.

Noch im Spiel

Noch nicht über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag abgestimmt haben: Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Schleswig-Holstein. Eine gute Übersicht über den Stand der Ratifizierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags in den Landesparlamenten bietet //spreadsheets.google.com/pub?key=0AnrHIeb5cmJedGU4Q2hpdnU4SENHdENXd3czSHljX0E&hl=de&output=html:dieses Dokument, gepflegt von dem Bürgerrechts-Aktivisten Jörg-Olaf Schäfers. Bis zum 31.12.2010 müssen alle Länder den Staatsvertrag unterschrieben haben, wenn ein Land nicht unterschreibt, ist der Vertrag "durchgefallen".

Die Linke hat ihren Koalitionspartner SPD nicht dazu bewegen können, den Staatsvertrag abzulehnen. Die Linke hätte am liebsten dagegen gestimmt, weil sie den Jugendmedienschutzvertrag für nicht zeitgerecht und realitätsfern halte, bekannte die Medienexpertin der Linke-Fraktion, Gabriele Hiller.

Scharf kritisierte sie ebenso wie die FDP, dass die Ministerpräsidenten ihre Landesparlamente bei der Änderung der Rundfunk-Staatsverträge zu "reinen Abnickgemeinden" degradiert hätten. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und die SPD kuschten vor dem Diktat aus Rheinland-Pfalz. "Ich bedauere das sehr. Ich hätte mir da mehr Courage vom Regierenden Bürgermeister gewünscht", sagte die Linke-Politikerin.

Dennoch werde die Linke zustimmen, weil sie im Koalitionsvertrag mit der SPD unterschrieben habe, dass beide Partner im Parlament nicht gegeneinander stimmten. Dafür erwarte sie von der SPD die Zustimmung zum Gesetz zur Neuregelung der Jobcenter, das Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) einbringe, betonte Hiller.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • K
    Kothen

    Ist dann die TAZ-online ab 12 oder ab 16 Jahre?

    Und ist die Druck TAZ weiterhin völlig jugendfrei?

    (Bei nahezu gleichem Inhalt)

     

    Da im Netz nach wie vor mehr gelesen wird, und ich mich nicht erinnern kann das es eine Altersfreigabe für Bücher und andere Schriften gibt, müsste dann diese "FSK" eigentlich nur für Filmbeiträge, bzw Filmschnipsel auf den Webseiten gelten?

    Oder werden dann im nächsten Schritt auch Verlage gezwungen sein Bücher, Zeitschriften, Magzine etc. mit diesen "hübschen" bunten FSK-Logos zu versehen.

  • GO
    George O.

    Dieser Zensur-Vertrag ist absurd. Ich würde vorschlagen, grundsätzlich jeden Inhalt jeder Website "FSK 18" einzustufen. Dann kann einem kein Anwalt etwas, die Kids interessierts eh nicht und das ganze System hätte sich schnell selbst überflüssig gemacht.

  • M
    Manu

    Der Link zur Übersicht über die Ratifizierung aus der grauen Box im Text lautet übrigens https://spreadsheets.google.com/pub?key=0AnrHIeb5cmJedGU4Q2hpdnU4SENHdENXd3czSHljX0E&hl=de&output=html

  • T
    TripleX

    Fakt ist, dass man in Deutschland mittlerweile fast alles durchbringt, sobald man es mit "Sicherheit" sowie möglichst noch "Terrorismus", "Islam", "Sex" oder "Kinder" in Verbindung bringt. Und die "Große Sicherheitskoalition" aus CDU/SPD/Grüne/FDP/Linke winkt alles durch, sobald sie irgendwo in Regierungsverantwortung ist. "Sicherheit" ist inzwischen ein Totschlagargument, mit dem sich fast alles rechtfertigen lässt. Man sollte es zum Unwort des Jahrzehnts küren.

     

    Es ist im übrigen auch kein Rückfall in netzpolitische Steinzeit. Die sah (vor ca. 10-20 Jahren) so aus, dass Onlinemedien (Mailboxen, Onlinedienste oder das aufkommende Internet) noch unreguliert waren, weil der Staat schlichtweg keine Ahnung davon hatte. Komischerweise funktionierte diese Online-Anarchie aber sehr gut und die Netzgemeinde regulierte sich, auch ohne staatliche Bevormundung, selbst. Bis irgendwann Politiker meinten, den Cyberspace regulieren zu müssen und immer neuer geistiger Müll wie dieser angebliche Jugendschutz rauskommt. Ich wünsche mir diese "Steinzeit" gerne zurück!

  • D
    deltongo

    Komisch, dass sich Alice Ströver von den Grünen so aus dem Fenster lehnt. Die Parteifreunde von der GAL in Hamburg haben am 24.11. mehrheitlich mit den Stimmen der CDU, SPD und GAL gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE für den Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag/JMStV gestimmt.

    Warum die LINKE in Hamburg dagegen war, aber in Berlin dafür lässt sich wohl auch nur mit parlamentarischen Sachzwängen klären. Der Blogger Fefe drückte die politische Beliebigkeit gestern drastisch aus: "Damit ist für mich klar: nie wieder eine Stimme für die Linken. Die haben mir gerade ins Gesicht gesagt, dass ich auch gleich die SPD hätte wählen können. Und sie sind für mich ab jetzt auch auf einer Stufe mit der SPD. Und ab zurück in euer Loch im Boden. Dann kann ja auch gleich die CDU wieder übernehmen."

  • T
    theofriedrich

    @m3t4b0m4n "Man könnte meinen, die Grünen sind genauso machtgeile Heuchler, wie unsere etablierten Volksparteien."

     

    Genau das sind sie und die Linke ist nicht besser.

  • SN
    Sebastian Negraszus

    Was für eine Farce. Jeder erzählt, dass er doch eigentlich dagegen ist und doch wird der Vertrag in allen Parlamenten abgenickt.

  • SM
    Stephan Müller

    Die Abmahnanwälte haben mit Sicherheit in Ihrer Kanzlei eine Urlaubssperre verhängt, wenn das Machwerk in Kraft tritt.

  • K
    KFR

    Viel Spass mit der seitenweisen Prüfung und Markierung aller Web-Inhalte,

    Viel Spaß bei der notwendigen Zugangskontrolle !

     

    Ein gefundenes Fressen für Abmahn-Anwälte !

  • 3G
    372 (Profil gelöscht)

    Was für ein Unsinn. Das ist ein Ticker der dpa.

     

    (Piraten-Anhänger sind offenbar noch verschwörungstheoretischer, was "die Medien" betrifft, als Linkspartei-Anhänger)

  • G
    Gnoffo

    Zusammen mit der Minderheit innerhalb der SPD hätte die Linke eine Mehrheit gegen die Billigung erreichen können.

     

    Wirklich traurig.

  • M
    m3t4b0m4n

    Wenigstens ist die #Piratenpartei für die #taz nun irrelevant genug, um sie tot zu schweigen. Die machen nämlich seit Monaten massiv Front gegen den Jugend-Medien-Zensur-vertrag. Da wird der Öffentlichkeit suggeriert, die Grünen wären gegen den Jugendmedienstaatsvertrag und überall dort (NRW und Thüringen zum Beispiel), wo sie sich gegen den Vetrag einsetzen könnten, wird sich hinter parlamentarischen Zwängen versteckt.

     

    Man könnte meinen, die Grünen sind genauso machtgeile Heuchler, wie unsere etablierten Volksparteien.